Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)

ab.
    „Lass nur. Das machen wir nachher, wenn die ganze Mannschaft weg ist. Dann machen wir mal eben ein bisschen sauber. Und später können wir es uns ja gemütlich machen und ein bisschen in alten Zeiten schwelgen. Und zur Feier des Tages machen wir uns einen leckeren Rotwein auf. Wir haben da noch ein paar gute Fläschchen von unserem letzten Toskana-Urlaub.“
    Habe ich da nicht eben ein kollektives Wir vernommen? Das fehlt mir noch. Bergeweise Scheiße einsammeln und dazu ein guter Tropfen. Schnell murmele ich etwas von wichtigem Termin und verlasse die Wohnung fluchtartig. Auf der Straße hole ich erst einmal tief Luft. Sofort überkommt mich ein schier unstillbares  Verlangen.
    Ich fahre in den Großmarkt.
    Ich fahre direkt dorthin.
    Ich gehe nicht über Los und ich ziehe auch keine 4.000 € ein.
    Mit leuchtenden Augen stehe ich vor riesengroßen Regalen mit Wegwerfwindeln. Kurz entschlossen kaufe ich gleich den 6-Monatsvorrat BABY ULTRA DRY. Auch wenn Freunde mal überraschend zu Besuch kommen, ist es wichtig, immer eine Extrapackung ULTRA DRY im Hause zu haben. Oder zwei. Oder besser drei.

Geburtsvorbereitung
    “Eins-zwei-Cha-Cha-Cha.
    Cha-Cha-Cha-Wiege-Cha-Cha-Cha.”
    Und jetzt die Promenade, vor zurück seitwärts- Wechselschritt und jetzt übergehen zum Fächer, Sybille und Peter steht ihr auf Euren Füßen?
    Weiter mit den Spanisch Arms und jetzt langsam vorbereiten. Angela und Marc, Tanzen nicht Quatschen. Kick-Kreuz. Tip-Tip-Drauf-Kick-Seit-Heran- und Cha-Cha-Cha.
    Katja und Jan, zeigt ihr uns noch einmal die argentinische Eröffnung?“
    Unser Vortänzer zeigt hart und unerbittlich auf uns.
    Uff. Auch das noch.
    Mir und meinem Tanzpartner stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Warum mussten wir uns auch gerade den Cha-Cha-Cha als Eröffnungstanz aussuchen. Der langsame Walzer hätte auch gereicht.
    Mein Tanzpartner fährt wieder seine Teleskoparme aus und zieht mich samt meinen stolzen 105 cm Bauchumfang zu sich heran.
    Und los geht’s.
    Erst ein paar Drehung, bis uns richtig heiß ist.
    Vor. Zurück.
    Vor zurück.
    Und dann zackig in den seitlichen Ausfallschritt. Kurze Pause, 2 Takte lang hecheln und weiter geht`s. Das ganze noch einmal
    Vor. Zurück. Vor und zurück. Diesmal den Ausfallschritt zur linken Seite und wieder eine kurze Pause.
    2 Takte hecheln und weiter.
    Und nun langsam aber sicher den Gebärhocker ins Visier  nehmen, während der Herr unermüdlich seine Rechts-Links-Kombination fortführt. Die Dame fängt an ihre Beine zu spreizen. Und immer schön anmutig lächeln.
    Leicht soll es aussehen. Wie bei Ginger Rogers und Fred Astaire. Und das Hecheln nicht vergessen.
    „Halt, Kinder. So geht das nicht. Habt ihr denn gar kein Taktgefühl. Und Du Jan. Denk mal nach. Wo ist dein rechter Fuß. Und was ist dein rechter Arm? Und Katja, Du musst dein wertes Popöchen schon ein wenig anheben. Bei Euerm Tempo bleibt das Kindchen schon im inneren Becken stecken. Da muss Bewegung rein. Bewegung und Musik. Bewegt Eure Hüften.“
    Luis hat gut lachen mit seinen Karl-Lagerfeld-nach-der-Abmagerungskur-Hüftlein, mit denen er nun wackelnd durch den Tanzsaal schreitet. Er muss diese 20 Kilo ja nicht vor dem Bauch mit sich rumschleppen.
    Und nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft wird er auch niemals ein Kind gebären. Und offen gesprochen schaut er auch nicht aus, als ob er vorhat, auf natürlichem Wege Vater zu werden.
    „So Kinder, eine klitzekleine Pause, für alle, die mal für kleine Mädchen und Jungs müssen. Und für den Rest von Euch zeigen Jeanette und ich jetzt zur Einstimmung den Gebärtango. Darf ich bitten, Jeanette?“
    Luis winkt Jeanette, die goldlockige Tanz- und Gebärlehrerin zu sich.
    Dankbar gehen mein Tanzpartner und ich zur Bar, um uns mit einem köstlichen muttermunderweichenden Himbeer-blättertee zu stärken. Irgendwie haben wir uns das mit der Geburtsvorbereitung einfacher vorgestellt. Aber da war wie üblich das kleine Zeitproblem, so dass wir uns für den Express-Wochenendkurs Musik ist Leben- Tanzend durch die Wehen entschieden haben.
    Während wir gerade anfangen, unsere Entscheidung zu bereuen, schlüpft Jeanette, ein maximal 45-kg –Persönchen mit einer beneidenswerten Figur im Glitzer-Badeanzug in ihr Sumo-Ringer-Kostüm, um die Sache richtig authentisch zu machen.
    Vor-Vor-Wiegeschritt.Rück-Seit-Schließen.
    Elegant gleiten Jeanette und ihr Tanzpartner über das Parkett. Er wirbelt um sie herum, während sie ganz entspannt eine Wehe auf dem