Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)

Sitzball. veratmet.
    Dann weiter im ZickZack, Vor-Vor-Wiegeschritt. Rück-Seit-Schließen.
    Bam, bam, baram, pam, pam.
    Hart und unerbittlich gibt der Tango das Tempo vor. Wieder eine Wehe, die Jeanette diesmal über die Schulter ihres Partners geworfen veratmet. 
    Bam, bam, baram, pam, pam.
    Die Musik wird durchdringender und steigt uns in Blut. Langsam setzen die Presswehen ein. Luis stampft wie ein Torrero mit den Füßen auf, während Jeannette den Stier gibt und wütend schnaubend ihre Beine in Luis Hüften stützt. Sie schreit rhythmisch auf.  Einmal. Zweimal.
    Bam, Bam, baram, pam, pam.
    Und dann platzt ihre Fruchtblase und der Kopf des Kindes ist zu sehen.
    Bam.Bam. Baram, pam, pam.
    Genau genommen ist nur Jeanettes Sumo-Ringer-Umhüllung aufgeplatzt. Strahlend hält sie die in der Plastikumhüllung versteckte Stoffpuppe Paula in die Höhe. Wir sind beeindruckt von der Vorstellung und applaudieren begeistert.
    So macht gebären Freude, Kinder.
    Auf dem Nachhauseweg sind sich Jan und ich jedoch einig, dass wir für eine professionelle Tanzkarriere zu alt sind.
    Aber zum Glück sind ja noch ein paar Wochen Zeit bis zum errechneten Termin.
    Nächstes Wochenende haben wir unseren nächsten Workshop. 
    In Holland. Am Ijsselmeer. Zwischen Skutje und Schlepper. Segelnd ins das Leben.

Der Klinikkoffer
    „Guten Morgen, es ist 7.30 Uhr, “ flötet mein Radiowecker.
    „Hier ist Ihr persönlicher Schwangerschaftsberater. Sie haben heute sieben Termine.
    9:00 Uhr Vorsorgeuntersuchung 27 b in der Gynäkologie
    10:15 Uhr Bauchpinseln mit Britta im Atelier BabyArt
    13.30 Uhr Mittagessen mit Ihrer Gebärberaterin
    15:00 Uhr Seminar: Feng shui im Kinderzimmer
    17:00 Uhr Synchronschwimmen für Mutter und Kind
    19.00 Uhr Workshop pränatale Spracherziehung finnisch für Feten im 9. Monat
    21:00 Uhr Vortrag Wie wichtig ist das Auslandsjahr für mein Baby ?
    Sie befinden sich in der 38. Schwangerschaftswoche. Ihr Bauchumfang beträgt 115 cm. Es kann in Kürze losgehen. Steht alles bereit? Ist der Klinikkoffer gepackt?“
    Erschreckt fahre ich hoch.
    Der Klinikkoffer.
    Ich befinde mich im letzten Schwangerschaftsmonat und habe alle bösen Warnungen in den Wind geschlagen, denn ich habe meinen Klinikkoffer noch nicht gepackt. Was da alles passieren kann.
    Beschließe heute damit anzufangen.
    Doch erst muss ich duschen, was in Anbetracht meines zunehmenden Bauchumfanges schon zu einer längeren Aktion wird. Und dann noch ein bisschen ins Büro. Und später einkaufen. Aber heute Abend fange ich garantiert an.
    Tage später.
    „Kind. Hast Du Deinen Klinikkoffer immer noch nicht gepackt?“
    Laut tönt die Stimme meiner Mutter aus dem Telefon.
    „Pass nur auf, sonst geht’s dir wie Gerti seinerzeit. Stell Dir vor, sie hatte Ende des achten Monats noch immer nicht ihre Kliniktasche gepackt. Und dann steht sie im Supermarkt an der Kasse. Just in dem Moment als sie bezahlen will, setzen die Wehen ein, und zwar so heftig, dass sie direkt ins Krankenhaus muss. Ohne Klinikkoffer.“
    Lausche dem Monolog meiner Mutter gebannt, ohne jedoch herauszufinden, was der armen Tante Gerti denn dann in der Klinik Schlimmes ohne ihren Koffer widerfahren ist. Meines Wissens hat sie ihr Kind männlichen Geschlechts, welches mittlerweile 10 Jahre älter, ½ Meter größer und 1 Zentner schwerer ist als ich ist komplikationslos auf die Welt gebracht.
    Nehme mir dennoch gute Vorsätze. Spätestens am Wochenende wird der Koffer fertig gepackt in der Ecke auf das freudige Ereignis warten.
    Auf der Fahrt zum Büro murmele ich vor mich hin:
    Ich packe in mein Köfferchen eine Zahnbürste.
    Ich packe in mein Köfferchen eine Zahnbürste und ein Handtuch.
    Ich packe in mein Köfferchen eine Zahnbürste, ein Handtuch und ein Stück Seife. Ich packe in mein Köfferchen eine Zahnbürste, ein Handtuch, ein Stück Seife und ein Laptop.
    Überlege, ob ein Laptop wirklich in einen Klinikkoffer gehört. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was man bei so einer Geburt alles braucht. Gut, ein Abendkleid wäre vielleicht ein bisschen übertrieben, ein paar hübsche Versace-Leggins tun´s wahrscheinlich auch. Und meine Gucci-Sonnenbrille darf ich auf keinen Fall vergessen. Wegen der Presse, die bei Promi-Entbindungen immer in den Büschen lauert. Mir fällt ein, dass ich nicht auch nur im Geringsten prominent bin und lasse die Idee mit der Sonnenbrille fallen. Weiß immer noch nicht, was in einen anständigen Klinikkoffer gehört.
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