Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
Vom Netzwerk:
Frauen. Das ist doch krank, oder – ich meine, sie ist doch verrückt, oder? Nicht nur bekifft?«
    Er lacht schmerzlich. »Das sind Fragen, die ich gern beantworten würde. Diese Dinge gehen ineinander über, sie sind schwer zu entwirren. Aber ja, meine Intuition sagt mir, daß sie nicht bei Verstand ist. Aber meine Intuition hat natürlich Unterstützung bekommen. Hast du gehört, wie sie sagte, sie käme aus einem Hospital oder aus einer Herberge … Wenn ich wetten müßte, Pam, dann würde ich sagen, daß sie in psychiatrischer Behandlung war. Dieser freundliche, wächserne Gesichtsausdruck. Die kleinen geplatzten Äderchen. Die schnellen Augenbewegungen. Das ist typisch.«
    »Du meinst, sie hat Elektroschocks bekommen.«
    »Würde ich meinen, ja.«
    »Und wir haben sie einfach gehen lassen … weißt du, ich glaube, der Abschleppwagen kommt nicht mehr. Ich glaube, die haben einfach Ja gesagt und es sofort wieder vergessen. Ich hab gehört der AAA soll ein Sauhaufen sein.«
    »In einer Nacht wie dieser dauert es eben.«
    »Hmmm … ich frage mich, wo sie jetzt ist.«
    »He, sieh mal, der Regen läßt nach. Wir steigen besser ein und verriegeln die Türen.«
    »Ja, Schwester.«
    »Hör ja auf damit, ich warne dich! Verschließ auch die hinteren Fenster!«
    »Don …«
    »Yeah, was ist?«
    »Don, sie schien so … ich weiß nicht. Glücklich und frei. Sie – sie war so lebendig.«
    »Das ist das Kranke daran, Liebes.«
    – Sie sieht, daß der Regen nachläßt. Das paßt ihr gut, denn die schützende Rampe schwenkt jetzt nach Norden ab. Sie folgt dem Mittelstreifen der alten Straße ins Freie und läßt die Kapuze unten. Dies ist ein zerstörtes Viertel, ein paar Blocks weit sind alle Häuser flachgelegt. Die Straße selbst ist aber in Ordnung. In der Stille hört sie jetzt, Meilen hinter sich, die Wellen des Sees ans Ufer klatschen. Ich muß hier wirklich mal eine Weile rasten, wenn ich wieder vorbeikomme, denkt sie, während sie ein oder zwei Wracks auf dem Mittelstreifen ausweicht. Am leuchtenden Wasser des Großen Sees.
    Wie hieß er noch? Michi-Gami oder Gitche-Gumee? Egal; ihr gefällt die ganze Geschichte von Hiawatha. Manchmal glaubt sie sogar, Schwester Hiawatha zu sein; das ist eine der wenigen Erinnerungen aus den alten Tagen, die sie sinnvoll findet. Sie hat, als sie aufwuchs, all die wunderschönen Dinge kennengelernt, die Namen der wilden Tiere, und hat voller Liebe vom Reichtum der Welt erfahren. Es gibt Worte dafür, manche Schwestern können wunderschön darüber reden. Aber das ist nicht ihre Art; sie weiß nur, wo der Weg ist, der sich richtig anfühlt. Der gute Weg, und sie streift durch die wundervolle Welt. Vielleicht ist sie ein wenig oberflächlich, aber das macht nichts. Ich bin eine Arbeiterin, denkt sie stolz. Und ich trage Verantwortung, ich bin Kurier. Sie kommt an eine Gabelung; sie muß sich vergewissern, ob sie noch nach Westen geht. Diese alten Straßen können leicht in die Irre führen.
    Sie bleibt stehen und klappt den Kompaß an ihrem Gürtel auf und sieht zu, wie sich die grüne Nadel einpendelt. So! Genau in diese Richtung. Und Glück hat sie – im letzten Flackern der Blitze sieht sie ein paar Blocks voraus Bäume. Vielleicht ein Park!
    Wie schnell diese Gewitter abflauen; sie huscht über eine mit Wracks übersäte Kreuzung und trottet aus reiner Freude an ihrer Kraft und Gesundheit rasch über den offenen Mittelstreifen zum Park. Ja, es sieht aus wie ein langgestreckter, grüner Flecken, der ziemlich weit gerade nach Westen führt. Dort wird sie gut laufen können. Irgendwo voraus wird sie wieder auf einen alten Freeway treffen, den Kennedy oder den Dan Ryan, der sie aus der Stadt bringen wird. Am Morgen wird es dort wahrscheinlich auch einigen Verkehr geben. Vielleicht wird sie ein Getreidewagen oder eine Händlerin mitnehmen. Oder vielleicht etwas, das sie noch nie gesehen hat, eine neue Überraschung dieser glücklichen Welt.
    Sie läuft und spürt ihre Füße frei und schnell auf den Boden fallen und denkt voller Respekt an die beiden Schwestern, die sie unter der Rampe traf. Die Große war eine Art Heilerin aus dem Süden. Sie waren so liebevoll zusammen und machten Scherze. Aber ich werde nicht mehr krank, es geht mir wirklich gut. Stolz auf ihre Spannkraft spurtet sie über die letzte Kreuzung und entdeckt einen Pfad, der sich durch das dichte Gehölz im Park windet. Vielleicht kann ich da drin sogar barfuß gehen – kein Glas, denkt sie. Der letzte Blitz hilft

Weitere Kostenlose Bücher