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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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immer unterwegs, unterwegs nach Des Moines und weiter nach Westen!
    Links-rechts, links-rechts. Ihre schlanken, kräftigen Beine tragen sie im Laufstil der Indianer, und sie fühlt sich prächtig in der regenkühlen Nacht. Kein bißchen müde; sie liebt ihren zähen, drahtigen Körper. Ein Kurier zu sein, das ist das beste Leben überhaupt. Jung sein und nachts durch die große, freie, mondhelle Welt wandern. He, Schwestern! Sie grinst in sich hinein und tappt leichtfüßig weiter. Nachrichten oder Post?
    »Natürlich ist sie ungefährlich, Officer«, sagt die Ärztin nachdrücklich. Die Ärztin ist eine schwere, fröhlich aussehende Frau. Sie hat eine große Reisetasche auf den Schreibtisch gestellt. Der hagere junge Mann, der auf der anderen Seite in einem Sessel lümmelt, starrt sie müde an und schweigt.
    »Jeans, grüner Parka, Rucksack, Sandalen. Vielleicht Kreditkarten«, wiederholt der Detective und notiert es sich. »Haare?«
    »Kurz. Sie wachsen gerade aus; sie wurden während der Behandlung abrasiert. Mir ist klar, daß das nicht sehr viel ist.«
    Der Polizist schiebt unsicher die Unterlippe vor und schreibt. Warum können die in einem so großen Laden nicht selbst auf ihre Patienten aufpassen? Ein mittelgroßes, durchschnittlich aussehendes Mädchen in Jeans und Parka …
    »Wissen Sie, sie ist völlig hilflos«, sagt die schwere Frau ernst und blättert in ihrem Kalender. »Ihr Täuschungssystem hat sich erweitert.«
    »Genau das sollten Sie aber aufbrechen«, sagt der junge Mann plötzlich, ohne aufzublicken. »Meine Frau war, ich meine, als ich sie herbrachte …«
    Seine Stimme klingt nach erschöpfter Wut. Es wurde alles schon einmal gesagt. Die Psychiaterin seufzt kurz, gibt aber keine Antwort.
    »Diese Täuschung, ist die gefährlich? Ist sie feindselig?« fragt der Detective hoffnungsvoll.
    »Nein. Ich hab es Ihnen doch erklärt. Sie glaubt, sie lebte in einer anderen Welt, in der jedermann ihr Freund ist. Sie vertraut jedem, Sie werden keine Schwierigkeiten haben.«
    »Oh.« Er steckt mit einer entschiedenen Bewegung das Notizbuch weg und steht auf. Die Psychiaterin begleitet ihn hinaus. Außer Hörweite des Mannes sagt sie leise: »Ich bin unter meiner Büronummer zu erreichen, wenn Sie in der Leichenhalle nachgefragt haben.«
    »Yeah.«
    Er geht, und sie kehrt zu ihrem Schreibtisch zurück. Der junge Mann starrt blicklos einige Polaroid-Aufnahmen an. Die oberste zeigt eine junge, braunhaarige Frau in einem gelben Kleid. Sie steht in einem Garten.
    – Der Mond steht hoch in der Sommernacht und schneidet durch rasende, kleine Silberwolken und wirft Lichtschäfte über die stille Stadt. Sie sieht vor sich das Ende des Parks, und dort ist auch ein mit Wracks übersäter Kreisverkehr. Sie läuft rasch weiter, noch kräftig, aber die ersten Anzeichen einer zufriedenen Müdigkeit in den Knochen. Gerade genug, um sich über ihre Beharrlichkeit zu freuen. Links und rechts, links und rechts, wie die Indianer. Das trainiert die Sehnen. Sie könnte ewig weiterlaufen.
    Jetzt erreicht sie den Kreisverkehr. Aufpassen, damit sie nicht auf Metall oder Glas tritt. Sie wartet, bis der Mond den Platz beleuchtet, und trottet zur Mitte. Irgendwo, bildet sie sich ein, kreischt oder brüllt etwas. Nein, nur das nicht. Sie grinst entschlossen in sich hinein und umrundet die Bruchstücke eines alten, umgestürzten Standbildes. Das sind nur Eulerich und Eule, die sich in ihrer Muttersprache unterhalten. Hiawathas Schwestern. Ich würde gern in ihrer Muttersprache mit ihnen sprechen, denkt sie – und dann freut sie sich, als sie auf der anderen Seite einen Menschen entdeckt. Noch eine Schwester, die nachts unterwegs ist!
    »Hey, Schwester!«
    »Hi«, erwidert die andere. Sie kommt aus dem Mittelwesten, man kann es hören. Sie lebt wohl hier und kann ihr sicher etwas über die alte Stadt erzählen!
    Begeistert rennt sie durch die Haufen auf der Straße und erreicht ihre wunderschöne Schwester, deren Gesicht im Mondlicht strahlt.
    »Was machst du? Spazierengehen? Ich bin Kurier«, erklärt sie und nimmt die Schwester am Arm. So eine Freude, eine Welt voller Freunde. »Nachrichten oder Post?« Sie lacht.
    Und sie gehen zusammen weiter, tanzen über den Mittelstreifen der alten Straße, um nicht von Brocken erschlagen zu werden, die aus den friedlichen alten Ruinen fallen. Auf der anderen Seite ist ein verbeultes Schild: DAN RYAN EXPRESSWAY, O’HARE AIRPORT. Unterwegs nach Des Moines und weiter nach Westen!
    »Ich

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