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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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Boot glitt durch flitzernde Untiefen, in denen irgend etwas klatschte und spritzte, und bog dann in die schimmernde Spur ein. Und mit einem Mal wurde alles Silber zu Blei, und die Sterne verblichen. Der Tag zog herauf. Eine tiefe, perlensanfte Röte breitete sich vor und über ihm aus, durchwirkt von Lavendelstreifen und Strahlen korallgoldenen Feuers, das zu einem grünen Leuchten in der Höhe schmolz. Das Boot glitt nun auf einer Schleife feurigen Lichts zwischen schwarzen Uferkonturen dahin. Jakko schaute zurück und sah verwirrende Wolkenstädte hinter sich im Westen aufgetürmt. Das eindrucksvolle Heraufziehen der Sonne. Er seufzte laut.
    Er wußte, daß dieses Gepränge im Grunde nichts anderes war als die Wirkung von Staub und Wasserdampf in der dünnen Lufthülle eines winzigen Planeten, auf dem er wie ein Wurm umherkroch. Das hatte nichts mit Größe zu tun – der Planet und er drehten sich lediglich den Strahlen des Hauptgestirns entgegen. Seine Angehörigen, alle Menschen wußten, daß sie auf dem Fluß den Galaxien in ihrer ganzen Glorie begegnen würden. Sonnen ohne Zahl, eine Pracht, gegen die das Schauspiel hier ein Nichts war. Und doch – und doch empfand er es keineswegs als ein Nichts. Es paßte zu ihm, war zugeschnitten auf Menschengröße. Er schluckte unsicher. Es störte ihn, daß die Schönheit der Erde als banal abgetan wurde, es störte ihn aber auch, daß er sich von ihr rühren ließ. So glitt er über das Wasser, hielt die Segelleine umklammert wie einer, der gegen die launischen Winde ankämpft, und sein Gesicht war bekümmert und sehr jung.
    Das kleine Boot folgte unbeirrt dem leuchtenden, gewundenen Band des Kanals. Als die Sonne heraufzog, drang von weiter vorn ein schwaches Dröhnen an Jakkos Ohr. Die Meeresbrandung. Er dachte an die Menschen, die diese Reise vor ihm angetreten hatten – an die Besitzer des Segelschiffs, die ihre letzten Tage der Sterblichkeit ausgekostet hatten. Eine heitere Fahrt, ein Picknick. Dabei fiel ihm ein, daß er Hunger hatte. Der Speisen-Synthesizer in seinem letzten Bodenauto war defekt gewesen.
    Er band die Leine fest und suchte umher. Der Wasservorrat an Bord war ergänzt worden, aber zu essen entdeckte er nichts außer einem Nährriegel. Jakko lagerte sich bequem auf das gepolsterte Deck und aß und trank, während sich der Himmel türkis und kobaltblau färbte. Dann steuerte das Boot in eine weite Lagune und fuhr zwischen flachen Inseln nach Süden weiter. Jakko ließ eine Hand ins Wasser hängen, kostete die Tropfen und schmeckte bitteres Salz. Als das Boot wieder nach Osten drehte und nach einem Durchlaß zum Meer suchte, gab es für ihn keine Zweifel mehr. Das Gefährt war zum Fluß hin programmiert, wie fast alles auf dieser Welt.
    Und tatsächlich steuerte die winzige Barke durch eine schmale Bucht mitten in der Brandung eines langgestreckten Küstenstreifens, spreizte Ausleger zur Seite und tanzte wie ein Korken über den Schaum der Riffe hinaus in die tiefgrüne Dünung. Hier schien es einen Moment zu kippen, gewann aber gleich darauf wieder sein Gleichgewicht. Jakko nahm an, daß es einen Kiel nach unten ausgeklappt hatte. Danach segelte es mit Rückenwind an der Meeresseite des Riffs entlang nach Süden, teilte die Wellen mit einem scharfen, gleichmäßigen Schnitt. Dem Fluß entgegen, soviel stand fest. Der nächstgelegene Ort am Fluß wurde hier Vidalita oder Beata genannt, gelegentlich auch Falaz; das hieß Illusion. Er lag weit im Süden und ein Stück landeinwärts. Jakko nahm an, daß sie zu einer Anlegestelle fuhren, wo ein Gleitstreifen bis ans Meer mündete. Er hatte immer noch Zeit zum Nachdenken, konnte gegen die Unruhe ankämpfen, die sich in sein Bewußtsein schob.
    Als dann aber die Sonne das Boot in einen schlanken, weißgoldenen Vogel verwandelte, der über das durchsichtige Grün dahinflog, fielen Jakko die Augen zu, und er schlief, durch transparente Blenden vor der Gischt geschützt. Einmal schlug er die Augen auf und sah einen bunten Fisch wie durch Zauberei durch die stehende Welle unter seinem Kopf ziehen. Er lächelte und schlief wieder ein, träumte von einer großen Woge, die sterben mußte, einer Woge, die eine vielköpfige Bestie war. Trauer umschattete seine Züge, und er bewegte lautlos die Lippen, als sagte er ein um das andere Mal: »Nein … nein …«
    Beim Erwachen sah er zu seiner Rechten eine langgezogene Steilküste. Vor ihm ragte von einer Klippe ein großes weißes Bauwerk auf, eine Art Turm, der kaum

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