Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
aus Licht und Schatten gefehlt. Sie öffnete die Hand, ließ los und sah sich um. Vor ihr flog der gewaltige rote Schatten auf und ab. Anna lächelte, Peter hatte recht behalten, sie würde die Passage nicht versehentlich betreten.
»Danke, Erin. Vertraust du auch mir?« Erin grinste und nickte. »Dann folge mir.«
Näher an die Passage, näher an den Vogel, dieses Rätsel würde sie ein für alle Mal lösen. Tief führte sie der rote Schatten in den Wald hinein, fort von dem schmalen Pfad, der die Stadt mit der Landstraße verband und sie später zu Bauer Carlson führen würde. Von Nebel keine Spur, noch nicht.
Immer tiefer tauchten die Frauen in das dunkler werdende Grün, der Phönix wies Anna den Weg. Plötzlich schien es kälter zu werden. Erin blieb stehen und deutete zitternd auf den Boden. Dünner weißer Nebel umspülte ihre Füße. Instinktiv trat Anna einen Schritt zurück, während Erin einen gewaltigen Satz nach hinten machte. Da! Der Phönix saß auf einem Baum unmittelbar vor ihr und Anna hielt den Atem an. Da war sie, die Passage, nicht mehr als drei Armlängen entfernt. So sah das also aus …, der weiße Nebelschleier schmiegte sich an die Wände eines gläserner Tunnels, der sich schnurgerade in das Unterholz schob und sich im endlosen Grün verlor. Am Anfang des Tunnels sah man links und rechts noch Büsche und Bäume, doch weiter hinten war der Nebel dichter, sank schwerelos von den durchsichtigen Wänden, bis das weiße Nichts zu einem einzigen Punkt verschmolz. Nur wenige Schritte trennten sie von … dort. Anna drehte sich um, ob Erin das auch sehen konnte? Ihre Freundin hatte noch mehr Abstand zwischen sich und den Nebel gebracht und lehnte blass am rauen Stamm einer großen Buche. Die Angst war verschwunden, im Gegenteil, nun musste sich Anna ermahnen, nicht einen weiteren Schritt nach vorn zu machen. Sie streckte ihre Hand aus, versuchte die gläserne Wand zu berühren.
»Anna.« Erins Stimme war angsterfüllt, geradezu panisch. »Anna, nicht weiter. Bitte. Anna!«
Widerstrebend drehte sich Anna um und kehrte der Passage den Rücken zu. Die eisige Hand ihrer Freundin zerrte sie fort … fort von dem Reiz des Ungewissen, von der Passage, von Silvanubis. Erst, als sie den schmalen Pfad, auf dem sie Oskar und Alexander das erste Mal begegnet war, erreicht hatten, blieb Erin schwer atmend stehen. Anna drehte sich um, der rote Schatten flog wieder auf und ab, der Nebel war verschwunden, die Passage auch.
»Frag mich noch mal, ob ich dir vertraue, Anna. Hast du ganz und gar den Verstand verloren?« Erin blitzte sie wutentbrannt an. »Wolltest du alles, was wir riskiert haben, mit ein paar Schritten zunichtemachen? Wolltest du mich hier allein zurücklassen?« Ihr Gesicht war purpurrot, so wie die Schwingen des Phönixes und Anna biss sich schuldbewusst auf die Lippe.
»Tut mir leid, Erin. Das war … unglaublich. Hast du das gesehen?« Anna drehte sich nochmals um, doch außer dem riesigen roten Schatten war von dem gläsernen Tunnel nichts mehr zu sehen.
Erin zitterte vor Wut. »Ich habe den Nebel gesehen. Das reicht mir.«
»Zumindest weiß ich jetzt, dass ich nicht aus Versehen eine Passage betreten kann.« Anna setzte sich neben ihre Freundin, die sich auf einem umgefallenen Baumstamm niedergelassen hatte, die Hände auf ihre Knie gestützt. Offensichtlich war Erin noch lange nicht milde gestimmt.
»Es tut mir wirklich leid, Erin. Aber ich glaube, ich hatte alles unter Kontrolle. Ich wäre nicht jetzt, nicht ohne euch losgegangen. Wirklich nicht.« Mit einer versöhnlichen Geste hielt sie Erin die Feldflasche entgegen, die sie, bevor sie losgezogen waren, bis zum Rand mit Wasser gefüllt und um ihren Hals gehängt hatte. »Hier, trink einen Schluck. Du bist kreidebleich. Sollen wir umkehren?«
Widerstrebend nahm Erin die Flasche entgegen, trank und reichte sie zurück. Ihre grimmige Miene entspannte sich ein wenig. »Also gut, Anna.« Sie lächelte schwach. »Natürlich kehren wir nicht um. Wie weit ist es denn noch bis zu dem alten Bauern?«
Erleichtert erhob sich Anna und hielt Erin die Hand entgegen, die einschlug und sich dankbar hochziehen ließ. »Ein Stückchen noch durch den Wald und dann eine halbe Stunde die Landstraße entlang.«
Es dauerte über eine Stunde, bis sie schließlich vor Bauer Carlsons Hof standen, und Anna fragte sich nicht zum ersten Mal, ob es nicht ein wenig verfrüht gewesen war, Erin dem langen Fußmarsch auszusetzen. Dreimal mussten sie
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