Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
Wachen lediglich annehmen, dass die Tür vom Wind hin und her geschlagen wurde. Vor allem aber durfte sie keine Zeit vergeuden. Sie musste schnell handeln. Angespannt zwängte sie sich durch den Türspalt und lief los. Ein wenig Zeit würde man ihr in dem kleinen Häuschen zugestehen, doch ewig würde Leon nicht auf sie warten. Sie hatte zehn, höchstens fünfzehn Minuten Vorsprung. Wenn nur Alexander bei ihr wäre. Er umrundete die verborgenen Zelte im Schlaf. Das Licht der Fackeln verblasste und Anna versuchte, sich zu orientieren. Drei Zelte hatte sie bereits hinter sich gelassen, da war sie ganz sicher. Gott sei Dank stand ein kreisrunder Vollmond über ihr und machte das Vorankommen ein wenig leichter. Bis zum Waldesrand war es ein etwa dreißigminütiger Fußmarsch. Um sich durch die Reihen der Krieger hindurchzuschummeln, brauchte sie ein wenig mehr Licht als das milchig-weiße Schimmern, das der Mond ausstrahlte. Anna warf einen kurzen Blick gen Himmel. Bald würde die Morgendämmerung über den östlichen Zipfel des Horizonts hereinbrechen. Trotz der Morgenkühle lief ihr der Schweiß den Rücken hinunter und in ihrem Nacken kribbelte es unangenehm. Ob man bereits nach ihr suchte?
*
»Sie ist verschwunden.« Leon starrte ungläubig in das leere Häuschen. »Verflucht noch mal, sie ist verschwunden«, wiederholte er. Er griff den Wachposten, der dem Plumpsklo am nächsten stand, am Kragen und schüttelte ihn. »Linus, du Traumtänzer, wo ist sie?«
Der schmächtige Krieger schüttelte den Kopf. »Die Tür hat kurz geklappert, ich dachte, es sei der Wind.«
Leon schob ihn ärgerlich zur Seite. »Weißt du eigentlich, was hier auf dem Spiel steht? Richard wird uns den Kopf abreißen.«
»Tut mir leid«, murmelte Linus zerknirscht.
»Mir auch«, schnaubte Leon, drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück zum Haus. Wie in aller Welt sollte er Richard beibringen, dass ihm ausgerechnet die Federträgerin abhandengekommen war?
*
Anna staunte. Richard war fleißig gewesen, beinah lückenlos reihte sich Posten an Posten. Hier kam keiner so ohne Weiteres durch. Ihr Herz hämmerte heftig. Ob man es schlagen hören konnte? Sie hatte es bis hierher geschafft, hatte jeden Schleier erfolgreich umlaufen, doch nun musste sie sich zwischen den Wachposten hindurchstehlen, die hier standen, um sie zu beschützen. Erst dann konnte sie in den Wald eintauchen. Wie eine Verräterin, noch konnte sie umkehren …
Nein, sie wusste, was zu tun war. Deutlich sah sie den Weg vor sich, der sie zum Ziel führen würde. Niemand anders konnte ihm folgen, ein leerer Pfad, noch unberührt, doch sie war entschlossen, dieses Mal ihre Spuren zu hinterlassen. Sie hatte sich entschieden.
Langsam wurde es heller. Ein zartes Rosa trennte die nachtschwarze Welt von dem saphirblauen Himmel. Jetzt konnte sie die Wachposten genau erkennen. Anna vergewisserte sich zum x-ten Mal, dass der Schleier sie auch komplett verhüllte, und suchte sich dann zwei Posten aus. Der eine kämpfte eindeutig mit dem Schlaf. Immer wieder nickte sein Kopf nach vorn. Der andere war in ein leises Gespräch mit einem weiteren Krieger vertieft. Anna wickelte den Schleier fest um ihre Schultern und lief los. Es war leichter, als sie angenommen hatte. Niemand bemerkte sie. Sie hatte die Posten bereits hinter sich gelassen, als ein leises Knacken unter ihrem linken Fuß sie erstarren ließ. Sie war auf ein dünnes Ästlein getreten, das unter ihrem Fuß zerbrach. Der müde Posten schien nichts bemerkt zu haben, doch der andere fuhr mit einer geschmeidigen Bewegung herum und zog im gleichen Moment sein Schwert. Innerhalb weniger Sekunden taten es ihm einige andere gleich. Anna hielt den Schleier fest und lief los. Gleich würden sie sie einholen.
*
Mit aschfahlem Gesicht ließ Peter den Zettel sinken.
Warte, bis ich bei Kyra bin. Dann führe die anderen zu mir. Richard wird wissen, wie man die Magierin ausschalten kann. Nutzt die Zeit und seid gut vorbereitet. Ich weiß, du kannst mich finden, Peter. Du hast die Verbindung, der Phönix wird dir den Weg weisen. Ich glaube, du hattest recht, der Plan ist größer … Das ist unsere einzige Chance. Ich vertraue dir. Bitte gib acht auf die Feder.
Geistesabwesend faltete er das Stück Papier zusammen und nahm die Feder in die Hand.
»Ein größerer Plan …«, murmelte er. »Deshalb hat der Phönix sie ausgesucht. Sie kann Kyra finden oder vielmehr Nico und ich finde Anna. Verdammt! Ich
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