Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
wenn alle wach waren. Und Peter war nicht auf den Kopf gefallen. Eher früher als später würde auch er verstehen.
Anna warf einen letzten Blick auf den kleinen Tisch. Zwei zusammengefaltete Zettel lagen darauf, einer für Peter und der andere für Alexander. Anna stöhnte. Schweren Herzens legte sie die Phönixfeder auf die Zettel. Bei dem Gedanken an Alexander krampfte sich ihr Herz erneut zusammen. Sie würde genau das tun, was er am meisten fürchtete. Er würde wahnsinnig werden vor Sorge und wahrscheinlich nicht einmal zu Unrecht. Und er würde enttäuscht sein, verletzt, außer sich …
Ihre Hände zitterten, als sie langsam die Türklinke hinunterdrückte. Sie schlang sich eine dünne Wolldecke über die Schultern, griff nach ihrem Abolesco Schleier und dem Stock mit der stachligen Pflanze oben drauf und ließ ihn unter der Decke verschwinden. Vorsichtig spähte sie in den Flur hinaus. Wie erwartet saß ein bis an die Zähne bewaffneter Freund Richards zwischen Alexanders und ihrem Zimmer. Noch konnte sie kneifen und statt nach rechts zur Treppe, nach links zu Alexander gehen. Anna schüttelte den Kopf. Nein, sie war Teil des Planes, und wenn sie jetzt den Mut verlor, war alles umsonst gewesen. Nur so konnte Kyra zu Fall gebracht werden. Anna wusste genau, was sie zu tun hatte und es war einfach unmöglich, dass Kyra den Phönix gefangen hatte. Anna war sich sicher, das hätte sie gewusst, gefühlt, geahnt … Ob sie nun tatsächlich das Steuer selbst in die Hand nahm oder nur eine Marionette in einem Spiel war, das jemand anders lenkte, wer wusste das schon. Fest stand, dass sie, wenn alles gut ging, dieses Mal etwas dazu beitragen würde, Unrecht zu beenden, Menschenleben zu retten.
»Muss mal«, flüsterte sie der Wache zu und hielt die Luft an. Wenn er jetzt irgendwelche Fragen stellte oder darauf bestand, sie zu begleiten, würde innerhalb kürzester Zeit zumindest Alexander geweckt werden. Dann konnte sie ihren Plan gleich hier und jetzt begraben. Ohne dem Wachposten Zeit zu einer Antwort zu geben, stieg sie lautlos die Treppe hinunter und lief auf leisen Sohlen zur Haustür. Auch dort würde sie auf Wachposten treffen. Gerade heute Nacht hatte sich Richard höchstwahrscheinlich persönlich davon überzeugt, dass niemand seinen Posten verließ. Zaghaft öffnete sie die Tür und wie vermutet traf sie auch dort auf zwei recht müde aussehende Gestalten. Anna versuchte es mit einem weiteren knappen »Muss mal«. Nur nicht zu viele Worte. Forsch trat sie zwischen den beiden Männern hindurch, als einer sie am Arm packte. Anna drehte sich langsam um. Sie kannte den Mann. Leon war einer von Richards ältesten Freunden und von Anfang an dabei gewesen, um sie zu schützen. Anna hatte schon einige, wenn auch recht flüchtige Unterhaltungen mit ihm geführt. Sie mochte den gemütlichen dunkelhaarigen Krieger.
»Warten Sie, Fräulein Anna. Ich begleite Sie.«
Anna schüttelte ihn ab und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Wenn er den Schleier entdeckte, hatte sie verloren. Anna fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sich jemand über die Decke wundern würde. Kalt genug dafür war es nun wirklich nicht. Aber es war die einzige Möglichkeit gewesen, den Schleier unbemerkt mitzunehmen. Und dieses Hilfsmittel brauchte sie nun mal.
»Nicht nötig, Leon. Danke«, flüsterte sie. Bloß niemanden aufwecken. »Ich würde lieber allein gehen.« Sie hielt sich den Bauch. »Muss wohl irgendwas Falsches gegessen haben oder es ist die Aufregung. Du kannst mich von hier doch genauso gut sehen.«
Das stimmte sogar. Der Weg zum Abtritt war mit Fackeln gut beleuchtet. Außerdem war sich Anna sicher, dass Leon und sein Kumpel nicht die einzigen Wachen waren, die sich in der Nähe des Hauses befanden. Ganz bestimmt würden nicht nur Leons Augen sie verfolgen. Sie versuchte es erneut mit Ignoranz und stapfte schnell, aber nicht zu hastig die Verandatreppen hinunter. Zu ihrer großen Überraschung begleitete sie tatsächlich niemand.
»Keine Sorge, Fräulein Anna«, hörte sie Leon hinter sich, »ich passe gut auf.«
Anna verdrehte die Augen, natürlich würde er das. Schnell hatte sie das kleine Häuschen erreicht, öffnete die Tür und trat ein. Der Fackelschein drang durch die Ritzen der dünnen Holzwand. Anna holte tief Luft. Sie ließ die Decke achtlos auf den Boden gleiten, breitete den Schleier so gut es ging über der armlangen Stange aus und verschwand darunter. Wenn sie Glück hatte, würden die
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