Aus der Hölle zurück
erstattete Meldung. Er stand genau vor mir und blickte mir gradewegs in die Augen. »Mit welchem Recht verteilst du Brot aus dem Lager?« fragte er mich. Ich erstarrte zur Salzsäule. Ich war vollkommen perplex. Und als er seine Frage wiederholte, antwortete ich, daß ich nicht begreife. Daraufhin jagte er mir ein ums andere Mal die Faust ins Gesicht, so daß ich zu Boden fiel. Als ich mich erhob und wieder Haltung annahm, befahl er: »Du kommst mit in den Saal, da wirst du schon begreifen!« Der Saal lag auf der anderen Seite der Straße im ersten Stock. Ich folgte dem SS -Mann auf den Fersen.
Unterwegs überlegte ich die ganze Zeit, worum es sich handeln möge. Was wußte er? Woran dachte er? Und durch wen? Es kam vor, daß ich meine Brotzuteilung nicht nur Felek gab, aber darum ging es offenbar nicht. Sollte es doch Felek gewesen sein? Das kam mir unglaublich vor. Er hatte mir hoch und heilig versichert, daß man nicht einmal über seine Leiche erfahren würde, woher er Brot bekomme.
Plagge und ich erreichten den ersten Stock und betraten den Saal. Zwei kranke Häftlinge fegten den Fußboden. Der SS -Mann brüllte sie an, sie sollten verschwinden. Als sie sich in den Waschraum verzogen hatten, wandte er sich an mich: »Du elendes Küchenschwein, du nimmst dir zuviel raus! Beug dich darüber!« wies er auf einen Schemel. In einer Ecke riß er eine dicke Holzleiste los und packte sie mit der Linken. Er war Linkshänder.
Da gab es keine Diskussion. Als ich mich über den Hocker beugte, holte Plagge aus und schlug zu. »Zähl mit, zähl laut mit!« befahl er nach altem Auschwitz-Brauch. O du verfluchter Hurensohn, dachte ich im stillen. Nach dem Schlag zog ich das Gesäß gleichsam in mich hinein. Ich wollte die angespannten Muskeln lockern, aber schon fielen die nächsten Hiebe. »Zwei, drei, vier …«, zählte ich laut. Der Schmerz griff auf das ganze Gesäß über. Er begann sich in die Wirbelsäule zu verbeißen, irgendwo oben auf dem Rücken, im ganzen Körper. Die Mütze, die ich in der Hand gehalten hatte, stopfte ich in den Mund, und wenn der nächste Schlag fiel, biß ich mit den Zähnen hinein, um nicht zu schreien. Gleich darauf nahm ich die Mütze kurz aus dem Mund, um die nächste Zahl hervorzuwürgen: »Acht, neun, zehn …« Ich schien den Schmerz nicht mehr zu spüren. In mir kam Taubheit auf und machte sich im ganzen Körper breit.
Die nächsten Schläge fielen in regelmäßigen Abständen. Meine Mütze war speichelnaß. »Einundzwanzig, zweiundzwanzig …«, krächzte ich. Weitere drei Hiebe. Dann zersprang irgend etwas in meinem Kopf, und völlig gefühllos fiel ich der Länge nach auf den Fußboden. Erst nach einer Weile vernahm ich wieder die Stimme Plagges. »Aufstehen!« brüllte er.
Ich heulte nicht. Vor Schmerz biß ich die Zähne zusammen. Ich erstickte einen Aufschrei in mir und biß mir auf die Lippen. Innerlich war ich weiterhin aufsässig. Ich würde ihm meine Erniedrigung nicht zeigen. Ich brachte irgendein Röcheln heraus. Ich war ganz und gar mit Speichel befleckt, versuchte aber, Haltung anzunehmen. Am Ende gelang mir das auch, nur hatte ich das Gefühl, als fehle mir das Gesäß. So hatte mich dieser Lump verprügelt.
Plagge aber fragte mit einem höhnischen Lächeln: »Na, weißt du, wofür du das bekommen hast? Nicht, weil du geklaut hast, sondern weil du dich hast erwischen lassen! Du sitzt nun schon so lange im Lager, da solltest du wissen, daß einem so etwas nicht passieren darf.« Ich wußte weiterhin nicht, wovon er sprach, antwortete aber: »Jawohl, Herr Oberscharführer!« »Na, und jetzt an die Arbeit!« meinte Plagge, während er die Leiste fortwarf, mit der er mich bearbeitet hatte. Ich straffte mich, soweit ich imstande war dazu, und wiederholte: »Jawohl!« Dann schleppte ich mich hinter ihm her zur Küche. An Sitzen war gar nicht zu denken. Ich machte mir zwar einen Umschlag mit warmem Wasser, aber das half gar nichts. Bis zum Ende des Tages mußte ich alle Handhabungen im Stehen verrichten. Zbyszek nahm eine Beschau vor und teilte mir mit, der ganze Hintern sei im Grunde schwarz.
Am Abend, als das Arbeitskommando heimkehrte, erfuhren wir, was geschehen war. Plagge hatte vormittags überraschend die Kleidung der Häftlinge durchsucht. Und natürlich hatte er bei Felek einen halben Laib Lagerbrot entdeckt, den ich ihm am Vortag gegeben hatte. Das Brot war nicht in die zugeteilten Portionen geschnitten. Ein Häftling konnte aber nur eine dicke Scheibe, das
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