Aus der Hölle zurück
in die Küche brachte. Sie lag in einer Hofecke des Nachbarhauses. Zwei Feldküchen bildeten unsere neue Arbeitsstätte. Zum Glück war es bereits die zweite Märzhälfte, und es gab immer mehr milde Tage. Aber auch so kochten wir die Suppe oder den »Tee« oft in strömendem Regen oder bei Schneefall, und die verfrorenen Hände wärmten wir am Herdfeuer. Die Feldküchen waren eben keine blank geputzten Dampfkessel in einer überdachten Küche. Alle Arbeiten führten wir dicht bei den Kesseln aus. Es gab keinen Helfer. Ausschließlich zu zweit mußten wir Kartoffeln und Rüben schälen, das Gemüse waschen und die Kessel scheuern.
Tag um Tag verging. Von morgens bis abends waren wir ununterbrochen beschäftigt, damit die Mahlzeiten für unsere 500 Mithäftlinge rechtzeitig fertig wurden. Unsere Arbeit verrichteten wir unter der Aufsicht von zwei SS -Leuten. Einer stammte aus der Umgebung von Poznań. Er verstand Polnisch, und wir mußten uns vor ihm in acht nehmen. Der andere war ein Österreicher, ein Wiener. Er verwaltete das Lager für den Küchenbedarf und das Brotlager. Dieses Lager war in einem Anbau des Gebäudes, gleich nebenan auf dem Hof, untergebracht. Die Verpflegung war kärglich, sie reichte nicht aus für die schwer arbeitenden Häftlinge. Für die SS -Leute kochte unser Chef, der Unterscharführer, extra in einem der Kessel. Er und der Wiener schälten die Kartoffeln und kochten die Mahlzeiten für die Wachmannschaft. Daher beeilten wir uns, um nach dem ersten Kochen einen Kessel für die Aufseher freizumachen.
Der Wiener betrank sich gerne. Seine Unaufmerksamkeit nutzten wir aus, wenn wir im Lager Lebensmittel in Empfang nahmen. Wir organisierten dann Brot oder etwas Zucker – nicht so sehr für uns als vielmehr für einige gute Bekannte unter den Kameraden, die beim Enttrümmern eingesetzt waren.
Unsere beiden Posten hatten vom Dienst bei der SS die Schnauze voll. Das war nur allzu leicht an ihrem Verhalten zu erkennen. Uns gegenüber waren sie tolerant und verständnisvoll. Die Arbeit mußte sowieso gemacht werden. Die Häftlinge mußten essen, um arbeiten zu können. Unsere Küchenposten hatten jedoch Angst, uns mehr Vertrauen zu beweisen, weil der Kommandant unseres Aufräumungskommandos und der Vorgesetzte der SS -Wachmannschaft einer der blutrünstigsten Verbrecher des KZ Auschwitz war: SS - Oberscharführer Ludwig Plagge, den man in Auschwitz auch das »Pfeifchen« genannt hatte. Er hatte viele Menschenleben auf dem Gewissen. Er war unter anderem an der Vergasung mehrerer Tausend Sinti und Roma und der Juden aus Theresienstadt beteiligt gewesen. Über seine Mitwirkung bei vielen »Sonderaktionen« in Birkenau wußte Zbyszek Bescheid, der dort gearbeitet hatte. Selbst in Regensburg hatten wir nun einen Auschwitzer SS -Mann als Kommandanten. Und unsere Mithäftlinge aus dem eigentlichen Aufräumungskommando berichteten uns abends nach der Arbeit, daß Plagge nach wie vor sehr aktiv war und überall auftauchte. In den Ruinen der zerstörten Häuser schnüffelte er nach Schnaps, und deshalb nahm er auch ziemlich oft Durchsuchungen vor.
Die Häftlinge des Aufräumungskommandos waren nicht nur durch Plagge, sondern auch durch die unablässigen Luftangriffe und Bombeneinschläge bedroht. Tag für Tag vernahmen wir von fern oder nah das Niederheulen und die Explosionen von Bomben. Leider kamen bei den Luftangriffen auch Mithäftlinge ums Leben. Immer häufiger wurden Tote in die Unterkunft gebracht. Zu den Aufgaben der einzelnen Gruppen des Kommandos gehörte auch die Beseitigung von Blindgängern. Eines Tages wurde beim Herausziehen einer Bombe der Zünder ausgelöst, und es kam zur Explosion. Damals starben etwa zwanzig Häftlinge. Es blieb kaum eine Spur von ihnen übrig.
Auf einem der Strohsäcke erkannte ich unter den Häftlingen einen Schulkameraden von meinem Gymnasium. Er hieß Felek, der Nachname ist mir entfallen. In der Freizeit entspann sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns, und ich beschloß, ihm hin und wieder etwas von dem im Lager organisierten Brot abzugeben. Felek war jung, genau wie ich. Seine Eltern hatte er schon im September 1939 verloren. Ich wußte, daß er sich über unsere Begegnung freute und daß er es verstand, auch anderen etwas abzugeben.
Es vergingen etwa zwei Wochen, als eines Tages um die Mittagszeit Kommandant Plagge persönlich in der Küche auftauchte. Mit dem Finger winkte er mich zu sich. Ich nahm vorschriftsmäßig die Mütze ab und
Weitere Kostenlose Bücher