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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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wie wichtig die verschwundenen Bauteile für die Fertigung der Tragflächen waren. Die vernommenen deutschen Meister sagten aus, daß sie in letzter Zeit unbegründete Freude bei den Russen bemerkt hätten; sie hätten Volkslieder und Soldatenlieder gesungen. Dem Lagerkommandanten genügte dieses Indiz. Infolgedessen wurde festgelegt, die russischen Häftlinge mit Hunger zu bestrafen. Die sogenannte Hungerstrafe begann am 29 . April und sollte drei Tage andauern. Nach der Arbeit wurden die russischen Häftlinge durch Tische von den anderen getrennt. Der fluchende und die »russischen Banditen« verdammende »Schwarze« verteilte die üblichen Rationen an die Häftlinge anderer Nationalität. Satt war keiner von uns. Das Essen unter den Blicken der Hungernden, das Unvermögen, ihnen etwas abgeben zu können, bedeutete eine entsetzliche Lage – sowohl für die Hungrigen als auch für die Essenden.
    Der Lagerälteste überwachte die Ausführung des Befehls des Kommandanten. Mit hängenden Köpfen begaben wir uns zur Nachtruhe auf unsere Pritschen. Mich quälten trübe Gedanken. Ich kannte den Hunger und wußte, wozu er führen konnte.
    In der Nacht kam Kolja zu mir. Von meinen Warschauer Gefährten Szwarc und Gluza, die unlängst kleine Lebensmittelpäckchen erhalten hatten, bekam er ein paar Stückchen Brot und Zwiebel. Er sagte uns, daß sie es einen Tag aushalten würden, aber wie würde es weitergehen?
    Es war schwer, im Namen aller, und noch dazu aller Hungrigen, zu sprechen. Auf die Frage, was ihre Führung unter den gegebenen Umständen beschlossen habe, erklärte er uns, daß die einzige Chance eigentlich in einer Flucht bestehe. Die Militärs überlegten sich, wie so ein Fluchtversuch durchzuführen sei, denn falls die Entscheidung getroffen werden sollte, würde es mit Sicherheit Opfer geben. »Wir haben nichts zu verlieren«, meinte Kolja. »Wir halten unter diesen Bedingungen höchstens noch zwei Monate durch. Es gibt immer mehr Kranke. Im Kommando darf man nicht krank werden. Die Deutschen brauchen uns nur, solange wir gesund sind. Vielleicht wäre es also besser auszureißen, solange wir noch etwas Kraft haben.« Zum Schluß erwähnte er, daß sie ursprünglich die Absicht gehabt hätten, Waffen zu erbeuten und aus den Geflüchteten eine Partisanenabteilung aufzustellen. Aber der auf eigene Faust von einer Gruppe junger Hitzköpfe unternommene Sabotageakt habe alle Zukunftspläne der Militärs durchkreuzt.
    Wir kannten nun die Wahrheit, aber was hatten wir davon. Ein Ausbruchsversuch schien Wahnwitz zu sein. Doch vielleicht war es besser zu flüchten als darauf zu warten, daß sie uns fertigmachten. Wie aber sollte man das anstellen? Kolja schloß sein Gespräch mit uns mit den Worten: »Falls etwas geschehen sollte, sucht mich!« Dann verschwand er im Dunkel der Nacht. Wir hatten nicht den geringsten Einfluß auf den weiteren Lauf der Dinge. Wir konnten nur darauf warten, daß sich die geladene Situation entspannte.
    Am nächsten Morgen gingen alle zur Arbeit. Als wir zurückkehrten, fanden meine Warschauer Gefährten die Brotreste aus ihren Päckchen nicht mehr in den Pritschen vor. Das war höchstwahrscheinlich das Werk des »Schwarzen«, der den Verdacht auf die Russen lenken und uns entzweien wollte. Abends erfolgte wiederum die demonstrative Essenausgabe an Polen, Tschechen und Franzosen, dann wurde nach einem kurzen Appell das Licht gelöscht.
    Zwei Tage lang hatten die Russen keine Verpflegung bekommen. Beim Verteilen der Rationen spürte man die Spannung, die unter ihnen herrschte. Die hinterhältige Gemeinheit der Nazis tat ihre Wirkung. Die Tatsache, daß drei sabotageverdächtige Russen mit je 25  Stockhieben bestraft würden, war völlig bedeutungslos angesichts des Hungers von 800 Mann, die um jeden Preis leben wollten. Das Mitgefühl von uns, den Häftlingen anderer Nationalität, hatte wenig zu bedeuten und war wirkungslos unter den Gegebenheiten des durch Betonmauern und Gittern von der Außenwelt abgeschnittenen Kellers.
    Am 30 . April 1944 schreckte ich gegen Mitternacht aus dem ersten Schlaf auf. Im Keller brannte es. Die Leute schrien in verschiedenen Sprachen durcheinander. Aus den dichten Rauchwolken heraus rief jemand mit laut hallender Stimme auf Russisch: »Kameraden, in den Waschraum!«
    Meine Pritschennachbarn waren schon angezogen und riefen mir zu, daß ich mich beeilen solle. Obwohl das Licht brannte, verlor ich sie aus den Augen, weil immer größere Rauchwolken die

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