Aus der Spur
«
An den Fußspuren erkannte Chang, dass der Mörder nur im Schlafzimmer des Ehepaars gewesen war. Sie achteten darauf, nicht auf die blutigen Abdrücke zu treten, und folgten ihnen in einen ordentlich aufgeräumten Raum. Das Bett war gemacht, aber das Arrangement der Kissen und eine Kuhle in der Bettdecke deuteten darauf hin, dass dort eine Person gelegen und vermutlich ferngesehen hatte. Angesichts der spärlichen Bekleidung des Mannes hatte wohl die Frau den Mörder hereingelassen, oder vielleicht hatte er sie auch überwältigt.
Chang entdeckte Blutspritzer auf dem Boden und folgte ihnen ins Badezimmer. Die blassroten Rückstände im Waschbecken fielen ihm sofort auf, und auch Nelson flüsterte: » Hast dir die Hände gewaschen. «
» Und er hat er sich ein sauberes Hemd geholt « , sagte Chang, als er die roten Spuren bemerkte, die zum Kleiderschrank führten. Ein leerer Kleiderbügel lag mit verbogenem Haken unter den tipptopp aufgereihten Hemden auf dem Boden. Der Rest des Schranks war ordentlicher eingeräumt als die Auslagen mancher Bekleidungsgeschäfte.
» Ich hab noch was gefunden. « Chang wies auf eine Kommode. Die Männeruhr und die Geldscheinklammer samt einem Bündel Scheine, die darauf lagen, waren nicht zu übersehen.
» Bingo! « Nelson überprüfte den Schminktisch der Frau, auf dem Chang mehrere Ringe und eine Goldkette liegen sah.
» Er hat nicht dran gedacht, etwas mitgehen zu lassen. Vielleicht war er zu aufgedreht « , meinte Chang voller Befriedigung.
» Ich glaube, ich verschwinde jetzt lieber. «
Erst jetzt wurde Chang bewusst, wie schnell die Zeit vergangen war. Inzwischen waren weitere Autos vorgefahren. Er musste Nelson vom Tatort wegschaffen, bevor die Presse auftauchte.
» Du hast recht. Ich kann mich wahrscheinlich in zwei Stunden loseisen, zumindest für eine kurze Pause. Können wir uns dann treffen? «
» Klar. «
» In der Independence-Mall an der Route 202 gibt es ein kleines Teehaus. Ist nur eine Meile von hier entfernt. Der Laden heißt › Tea Hee ‹ . In zwei Stunden also? «
» Kenne ich. Dann sehen wir uns also gegen Mittag. Ruf mich an, wenn du es nicht schaffst « , meinte Nelson und marschierte auf sein Auto zu.
» Nelson. «
» Was denn? «
» Du solltest vielleicht erst das Ding da ausziehen. « Chang deutete auf Nelsons Schutzanzug. Er legte seinen eigenen ab und nahm dann Nelsons in Empfang. » Und red bloß nicht mit dem zu kurz geratenen Kerl, der da am Absperrband hin und her tigert. Er ist von der Presse, nicht von uns. «
» Mit niemandem zu reden ist meine Spezialität « , meinte Nelson.
Kapitel 17
Teatime
Ein paar Stunden später betrat Chang das Einkaufszentrum, das der Independence Hall in Philadelphia exakt nachempfunden war.
Im » Tea Hee « standen bereits einige Leute Schlange. Chang erspähte Nelson an einem der Tische. Er hatte den Inhalt des Salzstreuers auf der Tischplatte verteilt und zeichnete Muster in das Häufchen weißer Kristalle. Nelsons Neigung zu Salzkunstwerken trat häufig dann auf, wenn er mit einem besonders grausamen Verbrechen konfrontiert wurde.
» Ich will erst etwas bestellen « , sagte Chang zu Nelson. Das Mädchen hinter der Theke trug ein Nasenpiercing und so viele Ohrringe, dass ein Metalldetektor angeschlagen hätte.
Chang bezahlte und setzte sich zu Nelson.
» Hast du den Chai? Der soll hier sehr gut sein « , sagte er.
» Muss ich mal probieren. «
Chang musterte seinen Partner einen Moment lang und fragte dann: » Etwa Earl Grey? « Nelson neigte dazu, sich in Gegenwart Fremder so unwohl zu fühlen, dass er sich dann grundsätzlich nur an das erinnerte, was er nicht wollte. » Angesichts einer Leiche bist du total ruhig, aber Tee zu bestellen überfordert dich? «
» Die Schlange war so lang, und die haben hier viel zu viel Auswahl… « Nelson hob den Blick von seinem Salzkunstwerk. » Wir haben es mit einem Serienkiller zu tun. «
» Das sehe ich auch so. Aber was soll das mit den Lebensmitteln? Gemüse und Konservendosen, eine Zitrone, ein Baguette und Chips? Ich versteh’s nicht. Aber wie dem auch sei – seine Taten werden immer grausamer. « Ein eruptiver, extrem persönlicher Ausbruch von Gewalt.
» Mr. Drei Prozent! « , rief das Mädchen hinter der Theke.
» Ich glaube, sie meint mich « , sagte Nelson. Chang sah ihm dabei zu, wie er mit seiner Tasse in den Händen so vorsichtig zurückgeschlichen kam, als enthielte sie Nitroglyzerin. Nelson verschüttete keinen Tropfen und
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