Aus der Spur
der Treppe. Nicht ganz zwei Meter von ihnen entfernt lag ein beleibter Mann in einer Schlafanzughose mitten in der Blutlache. Sein Schädel war zerschmettert. Daher stammte all das Blut, und es würde eine Gesichtserkennung fast unmöglich machen. Immerhin waren die Hände des Toten unversehrt.
Die Schädeldecke war zertrümmert, doch an einigen Stellen konnte man die kreisrunde Form der Wundränder deutlich erkennen. Chang versuchte sich auszumalen, was einen Menschen in eine solche Raserei versetzen konnte.
» Hammer. Es muss ein Hammer gewesen sein « , sagte Nelson zu sich selbst.
Ein zweiter Leichnam lag zusammengesackt neben einem Wasserrohr, das zur Decke führte. Die dicke Frau war mit Handschellen und Isolierband an das Rohr gefesselt. In ihrem Fall war die Todesursache weniger offensichtlich. Chang musterte das Stangenbrot, das aus ihrem Mund ragte.
An den Anblick von Leichen, den Verwesungsgeruch und den Gestank entleerter Gedärme hatte sich Chang von Berufs wegen gewöhnt. Mit dem Tod konnte er umgehen. Mit Wut auch. Ja, er verstand sogar den blinden Zorn, der sich mit scharfen Klauen Bahn brach. Trotz der Stille im Raum schien zwischen den Kellerwänden noch ein Echo des Wahnsinns nachzuhallen. Vor Changs innerem Auge tauchte die Leiche eines schlanken Mädchen in Tenniskleidung auf… sie lag auf einem Tennisplatz… Jennifer Topper… grüne Augen… grüngelber Filz…
Chang zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Was hatte das, was er hier vor sich sah, zu bedeuten? Sein Blick wurde von zwei grell orangefarbenen Chipstüten angezogen. Schon wieder Nahrungsmittel, dachte er, als er die Krümel bemerkte, die den Boden bedeckten. Was vom Gesicht des männlichen Opfers übrig war, war mit einer Mischung aus Blut und orangefarbenen Gewürzklümpchen beschmiert.
» Sieh dir das an « , meinte Chang zu Nelson und deutete auf die Schleifspuren auf dem Boden. Die Werkbank war offensichtlich von ihrem Platz unter der Werkzeugwand wegbewegt worden. Das männliche Opfer musste sie an seinem gefesselten Bein hinter sich hergeschleift haben.
» Du hast dich gewehrt. Respekt « , sagte Nelson. » Hast du ihn erwischt? «
Chang hielt Ausschau nach Blutspritzern, die nicht von dem Toten stammten, fand aber keine. Er spürte, wie der Ärger in ihm aufstieg. Beim Anblick des ordentlich aufgereihten Werkzeugs wurde ihm deutlich bewusst, dass die Opfer ganz normale Leute gewesen waren. Sie waren keine Drogenhändler, gehörten zu keiner Gang. Chang konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, womit sie diese erniedrigende Hinrichtung verdient hatten. Er versuchte, schneebedeckte Berge vor seinem inneren Auge heraufzubeschwören, aber es kam nur ein Vulkan dabei heraus.
» Du blockierst meine Wahrnehmung « , sagte Nelson und schob ihn aus dem Weg. Chang war klar, dass sein Partner es unweigerlich spürte, wenn er aus der Fassung geriet. Also trat er zurück und sah Nelson bei der Arbeit zu. Dieser formte mit seinen Fingern eine Art Rahmen, durch den er den Raum Abschnitt für Abschnitt betrachtete. Chang brauchte dafür immer noch eine Kamera.
» Was haben wir denn da? « Nelson wies auf einen Streifen Isolierband in einer Ecke, dasselbe Band, mit dem auch das weibliche Opfer gefesselt war.
Nelson wiegte seinen Körper vor und zurück, immer und immer wieder, und gaben dabei ein leises Geräusch von sich. Es klang wie ein Summen, aber in Wirklichkeit ratterte Nelson pausenlos ein und denselben Satz herunter. Das machte er jedes Mal, wenn er den Rest der Welt ausblenden wollte.
Nelson hörte auf, sich hin und her zu wiegen, und sagte zu der reglosen Gestalt der Frau: » Du warst schon tot, als er das mit dem Baguette gemacht hat, nicht wahr? Warum hast du ihn reingelassen? Kanntest du ihn? War er ein Freund? Warum habt ihr ihm erst gehorcht und euch dann später gewehrt? Du könntest mir ruhig ein bisschen weiterhelfen. «
Nelson ließ seinen Blick noch einmal über den Tatort schweifen und flüsterte Chang zu: » Ob ihnen wohl die Zitronen ausgegangen sind? «
Nelsons Witz bohrte sich wie ein Eispickel in Changs Gedärme. Er war ganz sicher, dass sie es hier nicht mit Zufallshandlungen zu tun hatten.
Als sie die Kellertreppe zum Erdgeschoss hinaufstiegen, sah Chang, dass Nelsons Hände zitterten.
» Warst du schon oben? « , fragte sein Partner und deutete Richtung Obergeschoss.
» Ja, aber nur um sicherzugehen, dass es nicht noch mehr Opfer gibt. «
Nelson erklomm die Treppe. » Komm schon.
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