Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
nicht mehr aushielt.«
    »Aber damals dachten Sie noch nicht an Selbstmord?«
    »Doch, ich begann darüber nachzudenken.«
    »Was hat Sie davon abgehalten?«
    »Feigheit.«
    »Aber als Adrienne Clegg plötzlich wieder mit Ihrem Ex auftauchte …«
    »Dieser Vorfall … das war die pure Wut.«
    »Das glaube ich gern. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ihn mir zu schildern?«
    »Ja.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich nur ungern daran erinnern. Trotzdem wäre es hilfreich, wenn Sie …«
    Ich hob die Hand, wie ein P olizist, der den Verkehr anhält. Dann begann ich zu reden. Wieder hielt ich mich nur an die Fakten und wollte die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Sie unterbrach mich erst, als ich erzählte, nach dem Angriff in die Nacht hinausgerannt zu sein.
    »Hatten Sie irgendeine Vorstellung, was Sie dann tun wollten?«, fragte sie.
    »Nein. Wie schon der Angriff war das rein spontan. Ich rannte auf die Straße. Danach weiß ich nur noch, dass ich in einem Taxi saß. Wir schafften die Strecke zu meiner Wohnung in Somerville in zehn Minuten. Ich lief durch die Wohnung, warf ein paar Sachen in einen Koffer …«
    »Darunter auch das viele Zopiclon …«
    »Meinen Pass, meinen Laptop, so viele Klamotten, wie in meiner Reisetasche Platz fanden … und meine Tabletten, ja. Ich warf alles in mein Auto. Ich ließ den Motor aufheulen und raste davon. Wobei – ›rasen‹ trifft es eigentlich nicht wirklich. Ich hielt mich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich fuhr ruhig und unauffällig …«
    »Weil Sie dachten …«
    »Weil ich dachte, dass man bereits nach mir fahndet. Würde ich anhalten, um irgendwo zu übernachten, würde man mich bestimmt finden. Also … fuhr ich einfach weiter.«
    »Sagen Sie mir, wohin Sie genau fuhren.«
    »Überallhin.«
    »Welche Straße nahmen Sie zuerst?«
    »Die 90.«
    »Die Interstate 90?«
    »Genau. Ich nahm nur Interstates. Und übernachtete ausschließlich in Mom-and-Pop-Hotels. Ich zahlte bar, gab einen falschen Namen an und schlief nicht viel.«
    »Mit ›nicht viel‹ meinen Sie …«
    »Ein, zwei Stunden pro Nacht.«
    »Und in der restlichen Zeit?«
    »Saß ich in einer schmuddeligen Badewanne mit kochend heißem Wasser und sah mir die ganze Nacht irgendeinen Mist im Fernsehen an. Ich überlegte, mich an der Duschstange zu erhängen.«
    »Und was hat Sie davon abgehalten?«
    »Ich war dermaßen erschöpft und nicht mehr ich selbst … Außerdem hatte ich eine Riesenangst davor, obwohl ich vorhatte, aus der Welt zu scheiden. Und wenn man das vorhat, meidet man den Kontakt zu Menschen, die einen vielleicht davon abbringen könnten …«
    »›Aus der Welt scheiden‹«, wiederholte sie und dachte über die Formulierung nach. »Das gefällt mir. Klingt fast romantisch.«
    »Selbstmord ist oft romantisch.«
    »Nur nicht für denjenigen, der ihn begeht.«
    »In der Literatur gibt es jede Menge romantische Selbstmorde.«
    »War Ihr Selbstmordversuch romantisch?«
    »Schauen Sie in mein Gesicht, und sagen Sie mir, ob das Ihrer Vorstellung von Romantik entspricht.«
    »Das war ironisch gemeint.«
    »Ich weiß. Aber unterwegs sein ist romantisch … vor allem für eine Amerikanerin.«
    »Und wer unterwegs ist, kommt irgendwann an. Sie kamen nach Montana. Warum ausgerechnet Montana?«
    »Das ist doch alles reiner Zufall. Ich habe in den Tagen, in denen ich unterwegs war, bestimmt eintausendzweihundert Kilometer runtergerissen. Und die eine Schneewehe, für die ich mich entschied, ist – oder war – hier. Überlegen Sie doch mal: Hätte ich nicht aus heiterem Himmel beschlossen, mein Leben in dieser Kurve der Route 202 zwischen Columbia Falls und Evergreen, Montana, zu beenden, hätten Sie nie von mir gehört.«
    »Es gibt eine Theorie über Menschen, die sich ins Auto setzen und gen Westen fahren. Einerseits laufen sie vor ihrem alten Leben davon, andererseits suchen sie nach einem geografischen Endpunkt. Doch wenn sie erst einmal in L. A., San Francisco oder Seattle sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als über die Klippen zu fahren.«
    »Mir gefällt die Vorstellung, das Pazifikufer zu erreichen und keine andere Wahl zu haben, als sich vom Festland zu stürzen. Zu dumm, dass Margaret Atwood das schon in einem ihrer Romane verwendet hat.«
    »Sie beschuldigen mich also des Plagiats?«, fragte Dr. Ireland milde.
    »Nein – als Wissenschaftlerin bin ich nur sehr pingelig, wenn es um Zitate geht.«
    »Bitte erinnern Sie mich daran, nie eines Ihrer Seminare zu

Weitere Kostenlose Bücher