Aus der Welt
Medikamente verschrieben bekommen, die Ihnen helfen sollten …«
»Zopiclon. Die mir helfen sollten, zu schlafen. Denn ich fand keinen Schlaf mehr. Ich konnte nicht mehr schlafen.«
»Dasselbe Zopiclon, das in Ihrem Wagen gefunden wurde?«
»Ja, genau.«
»Und das Sie von einem gewissen Dr. Dean Staunton bekommen haben – der zufällig Betriebsarzt an der New England State University ist?«
»Sie haben zweifellos bereits mit ihm gesprochen.«
»Er meinte, dass Sie in einer schrecklichen Verfassung gewesen wären, als Sie ihn nach dem Unfall aufsuchten, allerdings verzweifelt versucht hätten, sich nichts anmerken zu lassen. Sie bestanden schon fünf Tage nach der Beerdigung darauf, wieder zu arbeiten, und wollten nichts von einem Trauerurlaub wissen. Was ihn am meisten beunruhigte, war, wie gefasst Sie waren. Auch Ihre Kollegen staunten, wie knallhart Sie darauf bestanden, ganz normal weiterzuleben. So lange, bis Sie eine gewisse Adrienne Clegg angegriffen haben. Würden Sie mir bitte erklären, was damals passiert ist?«
»Sie wissen, was passiert ist – weil Ihnen zweifellos jemand von der New England State davon erzählt hat.«
»Ich möchte es von Ihnen hören.«
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Weil …«
»Weil ich nicht darüber sprechen möchte.«
»Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ihr Anwalt, Mr Al kan, hat uns gesagt, dass Miss Clegg keine Anklage gegen Sie erheben will.«
»So ein Glück aber auch.«
»Hatten Sie gute Gründe, Adrienne Clegg anzugreifen?«
»Ich denke schon. Die Frau war die Geschäftspartnerin meines Lebensgefährten und später seine Geliebte. Dann legten die beiden eine Riesenpleite hin – hinterließen mir sämtliche Schulden und tauchten clever, wie sie sind, auch noch unter. Ich war wahnsinnig gestresst deswegen. Ich fand keinen Schlaf mehr, konnte nicht mehr klar denken. Ich bekam Schwindelanfälle vor lauter Übermüdung. Ich brachte nicht einmal mehr die einfachsten Dinge zustande. Und deshalb …«
Der Satz erstarb auf meinen Lippen. Dr. Ireland beendete ihn für mich.
»Und deshalb geben Sie sich die Schuld an dem Unfall?«
»Ja«, sagte ich.
»Geben Sie auch Adrienne Clegg die Schuld?«
»Das ist eine Sache von Ursache und Wirkung.«
»Und deshalb haben Sie sie – bei ihrer Rückkehr nach Boston – angegriffen?«
»Ursache und Wirkung.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Und ich sage es noch einmal. Und jetzt sage ich gar nichts mehr.«
In dem darauffolgenden Schweigen konnte ich sehen, wie mich die Ärztin musterte und sich fragte, wie weit sie wohl gehen konnte.
»Wir werden in drei Tagen noch einmal darüber reden. Meinen Sie nicht, dass Sie bis dahin Ihren Fakultätsvorsitzenden, Ihren Anwalt und Ihre Freunde …«
»Nein.«
»Wir könnten sie für Sie benachrichtigen.«
»Nein.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
»Ja.«
»Eine Depression ist eine ganz normale Reaktion auf …«
»Darauf, dass man zu blöd ist, sich umzubringen?«
Dr. Ireland trommelte mit ihrem Stift auf das Klemmbrett.
»Ich würde Ihnen gern ein Antidepressivum namens Mirtazapin verschreiben. Hauptsächlich, damit Sie schlafen können.«
»Hält es mich auch davon ab, in den Spiegel zu schauen und zu sehen, was ich mit meinem Gesicht angestellt habe?«
»Das wird alles verheilen.«
»Und dann? Was dann? Werde ich irgendwann lernen, mit meinem ›Verlust‹ umzugehen, und einen Weg finden, den ›Trauerprozess‹ zu beenden? Ist das der Unsinn, den Sie mir hier weismachen wollen?«
Dr. Ireland stand auf und begann, ihre Sachen zu packen.
»Ich kann trösten, wo nach Trost verlangt wird«, sagte sie. »Aber ich kann auch brutal sein, wenn ich brutal sein muss.«
»Ich brauche keinen Trost, Frau Doktor.«
»Dann sage ich Ihnen jetzt ganz brutal die Wahrheit: Sie werden den Rest Ihres Lebens damit leben müssen. Und deshalb werden Sie versuchen, sich umzubringen, sobald wir Sie entlassen haben.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Am Donnerstag werden wir uns zur gewohnten Uhrzeit weiterunterhalten.«
An jenem Abend begann ich mit der Einnahme von Mirtazapin. Schwester Rainier verkündete, dass sie mir »laut Anweisung der Ärztin« fünfzehn Milligramm von dem Zeug geben würden, damit ich schlafen könnte. »Dr. Ireland hat mir erzählt, dass Sie eine Frau mit einem spitzen Gegenstand angegriffen haben, und hat auch die Umstände geschildert. Ich kann Ihnen das nicht verübeln. Ich hätte wahrscheinlich dasselbe getan.«
Oh, hört endlich auf, mir
Weitere Kostenlose Bücher