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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Stundenhotel für Bordsteinschwalben und Rentner, die gerade pleite waren. Das Zimmer kostete nur 45 kanadische Dollar pro Nacht und sah genauso aus, wie man es bei dem Preis erwartete. Es war ein Loch. Gestrichene Betonwände, vergilbte Linoleumböden, ein Doppelbett mit einem fleckigen Bettüberwurf und einer durchgelegenen Matratze, eine Kochzeile mit Rostflecken, eine Toilette, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geputzt worden war …
    Ich wollte gleich wieder auschecken. Aber dummerweise ging sofort nach dem Einchecken ein Schneesturm los. Ich war müde, desorientiert und nicht mehr weit von jenem gefährlichen Zustand entfernt, der mir ankündigte, dass ich bald Jetzt-geht-gar-nichts-mehr-Gebiet betreten würde. Also tat ich, was ich immer tat, wenn ich das Gefühl hatte, abzustürzen. Ich ging ins Bett – nur dass ich diesmal die doppelte Dosis Mirtazapin nahm, damit ich die nächsten zwölf Stunden garantiert nicht mehr zu Bewusstsein kam.
    Wie sich herausstellte, schaffte ich es, elf Stunden zu schlafen, und wurde gegen sechs Uhr morgens verwirrt wach. Die Welt drang in mich ein. Die Trauer schlug zu – und zu allem Überfluss war meine Umgebung alles andere als aufheiternd.
    Um Viertel vor sieben hatte ich ausgecheckt und trat hinaus auf die verschneiten Straßen, während der Nordwind über den menschenleeren Boulevard heulte. Laut einem Straßenschild befand ich mich auf der 16. Avenue NW – und vor einem Hotel namens Motel Village. In allen vier Himmelsrichtungen gab es weitere hässliche Motels, einen 7-Eleven-Supermarkt, eine Red-Lobster-, eine McDonald’s- und eine Tim-Horton’s-Donut-Filiale. Der Himmel besaß die Farbe von kaltem Porridge. Die Kälte war so heftig, dass sie mir ins Gesicht schnitt, kaum dass ich den Bürgersteig betreten hatte. Ich ging an einem Zeitungskasten vorbei. Wenn ich meine Handschuhe auszöge, um ein paar Münzen hervorzukramen, würden mir die Finger abfrieren – aber es gelang mir trotzdem, ein Exemplar des Calgary Herald zu kaufen, bevor ich mich in die Wärme des Tim Horton’s flüchtete.
    Dort herrschte die deprimierende Atmosphäre eines Fast-Food-Schuppens. Den vor der Tür parkenden Autos nach zu urteilen, gingen hier hauptsächlich Trucker, Müllmänner und die Ärmsten der Stadt ein und aus, die dicke, tiefgefrorene Teigklumpen mit nichtssagendem Kaffee hinunterspülten. Du elitärer Snob! Du bist nicht mehr in Cambridge, sondern am Arsch der Welt, ganz oben im hohen Norden.
    Ich bestellte zwei Donuts mit Ahornsirupglasur und einen Cappuccino. Vielleicht lag es daran, dass ich seit sechzehn Stunden nichts gegessen hatte, aber sie schmeckten verdammt gut. Ich schlug die Zeitung auf, blätterte zum Immobilienteil und überflog die Rubrik »Zu vermieten«. Wenn man in eine völlig unbekannte Stadt kommt, besteht das größte Problem darin, dass einem die Straßen- und Viertelangaben überhaupt nichts sagen: Eau Claire – wunderschönes 1-Zi.-App. mit fantastischem Blick auf den Bow-River. Oder: Das Beste der 17. SW – elegante 2-Zi.-Whg. in Laufweite zur Innenstadt, 1750 Dollar. Referenzen erwünscht. Oder: Magnolia Heights – 1-a-Wohnung im freundlichen Saddle Ridge!
    Obwohl ich keinerlei Ahnung von Calgary hatte, ahnte ich schon, dass ein Viertel namens Saddle Ridge nur in irgendeinem Vorort liegen kann. Ich sah auf die Uhr. Es war halb acht. An einem der Nebentische saßen ein paar kräftige Kerle.
    »Guten Morgen«, sagte ich. »Ich bin erst gestern Abend hier angekommen …«
    »Und da sind Sie ausgerechnet hier gelandet?«, sagte einer und brachte damit die anderen zum Lachen. »Sie haben wirklich einen Riecher fürs Glasscherbenviertel.«
    »Diesen Fehler werde ich kein zweites Mal begehen. Aber können Sie mir ein anständiges Hotel in Calgary empfehlen?«
    »Ein anständiges Hotel in Calgary?«, wiederholte derselbe Kerl mit einem gewissen Zynismus. »Glauben Sie im Ernst, dass wir uns mit so was auskennen?«
    »Bitte entschuldigen Sie die Störung.«
    »He!«, sagte einer seiner Kollegen. »Benimm dich der Dame gegenüber!«
    »Ich wollte mich nicht danebenbenehmen.«
    »Das Palliser«, sagte der Dritte. »Da war ich mal, als es in der Küche gebrannt hat.«
    »Wann? 1934?«, fragte der Erste.
    »Bitte entschuldigen Sie unseren Freund hier«, sagte der Dritte. »Er findet sich wahnsinnig komisch, aber niemand auf der Polizeiwache lacht über seine Witze. Wenn Sie ein gutes Hotel suchen, dann nehmen Sie das Palliser. Aber das ist

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