Aus der Welt
teuer.«
Ich überschlug rasch, wie viel Geld ich noch in der Jackentasche hatte – mit Bargeld und Travellerschecks besaß ich ungefähr 4000 kanadische Dollar. Ich konnte mir ein paar Nächte in einem anständigen Hotel leisten. Ja, ich brauchte eine erträgliche Umgebung, um mich wieder zu sammeln.
»Wissen Sie, ob es hier irgendwo eine Telefonzelle gibt?«, fragte ich.
»Sie wollen jemanden anrufen?«
»Ein Taxi.«
Er zückte ein Handy.
»Betrachten Sie die Sache als erledigt.«
Das Taxi kam innerhalb weniger Minuten. Es brauchte fast eine halbe Stunde zum Palliser.
»Ich wusste gar nicht, dass ich so weit von der Innenstadt weg war«, sagte ich zum Fahrer.
»Calgary ist ein ausuferndes Stadtgebiet.«
Calgary war auch eine einzige Baustelle: Eigentumswohnungen, Schlafstädte, Neubauten, neue Einkaufszentren. Es waren nur wenige historische Gebäude übrig geblieben … bis auf das Palliser. Es lag an der 8. Avenue, die zum Zentrum zu gehören schien. Da ich so viele Jahre über die Literatur des amerikanischen Goldenen Zeitalters geforscht hatte, sprach mich das Palliser sofort an. Seine Fassade war protzig, und die Einrichtung strahlte verblassten Glamour aus. Es war ein altes Bahnhofshotel, das vor einem Jahrhundert jene Oberschicht beherbergte, die aus irgendwelchen Gründen in jenem abgelegenen Ort gelandet war.
Es kam nicht alle Tage vor, dass ich auf ein Relikt aus jener Zeit stieß, in der ich, wissenschaftlich betrachtet, so lange gelebt hatte. Es war ein Hotel wie aus einem Roman von Dreiser oder Frank Norris. »Kann ich Ihnen helfen?«
Das kam von der Frau hinter der Rezeption. Sie war um die zwanzig, hatte schwarze Haare und sprach mit einem starken osteuropäischen Akzent. Was hatte sie nur nach Calgary geführt?
»Ich hätte gern ein Zimmer für mehrere Nächte.«
Sie erklärte mir, dass sie Zimmer zwischen 275 und 800 Dollar die Nacht hätten. Ich wurde blass, was ihr nicht entging.
»Das ist etwas zu teuer für mich«, sagte ich.
»Wie viele Nächte wollen Sie denn bleiben?«
»Vielleicht vier oder fünf. Ich bin neu in der Stadt und muss mir eine Wohnung suchen.«
»Wann sind Sie angekommen?«
»Erst gestern Abend.«
»Haben Sie einen Job hier?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Verwandte? Freunde?«
Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Warum Calgary?«, wollte sie wissen.
»Reiner Zufall.«
»Wie die Evolution«, sagte sie lächelnd und fügte dann hinzu: »Zu Hause in Polen habe ich Biologie studiert.«
»Und hier?«
»Hier studiere ich immer noch Biologie – und arbeite in diesem Hotel, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Aber warum Calgary?«
»Reiner Zufall.«
Sie tippte eine Weile etwas in ihren Computerterminal, griff dann zum Telefon und sprach leise mit jemandem. Anschließend strahlte sie über das ganze Gesicht.
»Diese Woche ist nicht viel los. Wenn Sie fünf Nächte bleiben, kann ich Ihnen einen Angestelltenrabatt von hundertfünfzig pro Nacht geben. Es ist dann keines der größeren Zimmer, aber immer noch recht nett.«
»Danke«, sagte ich und reichte ihr meine Scheckkarte.
»Jane Howard«, sagte sie, als sie den eingeprägten Namen las. »Wissen Sie schon, was Sie in Calgary machen wollen?«
»Nein«, sagte ich.
»Das ist ja schon mal was.«
Das Zimmer war tatsächlich nicht sehr groß – vielleicht achtzehn Quadratmeter. Aber nach dem albtraumhaften Motel war es mehr als gut. Es gab ein breites Bett, einen schönen Sessel, einen Schreibtisch, ein sehr sauberes, funktionsfähiges Bad. Ich packte meine Tasche aus, machte mein Radio an, fand den Klassiksender von CBC , ließ mir ein heißes Bad ein, zog mich aus und legte mich eine gute Stunde hinein. Ich überlegte, was ich als Nächstes tun würde, und kämpfte gegen meine tägliche Schwermut an. Mir blieb nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie ich durch den Tag kam.
Nachdem ich im Bad fertig war, griff ich zum Telefon und rief an der Rezeption an. Ich erklärte, dass ich in Calgary eine Wohnung mieten wolle, mich aber in der Stadt noch nicht auskenne. Der Portier hieß Gary – ein sehr freundlicher, hilfsbereiter Typ.
»Sind Sie in der Ölindustrie?«, fragte er.
»Äh … nein …«, sagte ich leicht amüsiert.
»Calgary ist eine große Ölstadt – das Dallas des Nordens. Deshalb sind die meisten Leute, die hierherziehen und bei uns absteigen, in der Erdölindustrie.«
»Ich bin Lehrerin.«
»Dann werden Sie wahrscheinlich nicht nach einer großen Bonzenwohnung
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