Aus der Welt
suchen.«
»Meine Mittel sind eher bescheiden.«
»Haben Sie schon eine Vorstellung, wo Sie wohnen möchten?«
»Nein.«
»Haben Sie ein Auto?«
»Nein.«
»Werden Sie sich eines anschaffen?«
»Ich glaube nicht.«
»Und was unterrichten Sie?«
»Literatur.«
»Auf der Highschool?«
»Ich war Universitätsdozentin.«
»Verstehe – dann wollen Sie bestimmt ein paar Buchhandlungen, Cafés und Programmkinos in der Nähe haben.«
»In Calgary gibt es Programmkinos?«
»Sie brauchen gar nicht so überrascht zu tun. Es gibt drei davon – und sogar einige sehr gute Theater. Und ein ordentliches Symphonieorchester.«
Nun, das waren ja gute Neuigkeiten.
»Wie dem auch sei«, fuhr er fort, »ich würde Ihnen raten, sich entweder in einem Viertel namens Kensington oder irgendwo unweit der 17. Avenue SW umzusehen. Ich kenne auch eine Maklerin, die Ihnen vielleicht weiterhelfen kann. Wie bald möchten Sie denn einziehen?«
»Ich brauche in wenigen Tagen eine Wohnung.«
»Gut. Ich kümmere mich darum …«
Nach einer Viertelstunde rief er zurück und sagte, eine Maklerin namens Helen Ross würde mich jeden Moment anrufen. Was sie auch tat.
»Wie ich hörte, suchen Sie eine Mietwohnung in Kensington oder Mount Royal. Wie viel können Sie ausgeben?«
»Ich kann maximal siebenhundert im Monat zahlen.«
»Möbliert oder unmöbliert?«
»Lieber möbliert.«
»Dann wird es wahrscheinlich ein Einzimmerapartment werden, wenn Ihnen das recht ist.«
»Das geht in Ordnung.«
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«
Ich wusste, dass das kommen würde – und hatte mir eine Antwort zurechtgelegt: Ich hatte an einer Universität gelehrt, mit befristetem Vertrag, und jetzt suchte ich Arbeit.
»Sie haben also im Moment keine festen Einkünfte?«
»Ist das ein Problem?«
»Nicht, wenn Sie ein Guthaben nachweisen können, das für eine Jahresmiete reicht.«
Mist. Zu diesem Zweck würde ich Kontakt zu meiner Bank in Boston aufnehmen müssen – da sie bestimmt auch Referenzen brauchte. Und wenn ich das tat, würde bekannt, wo ich mich aufhielt. Es sei denn, mein Kundenberater würde es für sich behalten. Unterstehen Banker nicht einer Art Schweigegelübde, so wie Priester?
»Ich kann Ihnen die nötigen Nachweise zukommen lassen«, sagte ich.
»Na prima. Heute Vormittag habe ich einen Besichtigungstermin, aber wie wär’s, wenn ich gegen drei im Hotel vorbeikäme?«
Ich wartete in der Lobby auf sie, als sie in einem silberfarbenen Lexus vorfuhr. Helen Ross war über fünfzig. Sie hatte sich gut gehalten und war gut gekleidet. Zwei große Diamantringe zierten ihre linke Hand. Eine Spur von Botox um die Augen. Sie hatte eine angenehme, direkte Art und wollte mit Sicherheit nicht viel Zeit auf so ein mickriges Geschäft verschwenden. Trotzdem wahrte sie Professionalität und Höflichkeit. Ich merkte, wie sie mich musterte und vermutlich als »ewige Studentin« einschätzte. Was ja eigentlich gar nicht so falsch war. Wie nebenbei erkundigte sie sich nach meinem Hintergrund. Ich erzählte ihr genug, um ihre Neugier zu befriedigen, erwähnte meinen kanadischen Vater und meinen Doktortitel aus Harvard. Daraufhin musterte sie mich noch sorgfältiger, als wollte sie prüfen, ob ich die Wahrheit sagte oder ihr irgendwelche Lügenmärchen auftischte. Ich erzählte auch, dass ich gerade »auf Stellensuche« wäre und beschlossen hätte, »ein neues Leben anzufangen«, »Tapetenwechsel« bräuchte.
»Geschieden?«, fragte sie.
»Wir waren nicht verheiratet, aber …«
Sie nickte grimmig.
»Mein Mann hat mich letztes Jahr verlassen – nach dreiundzwanzig Jahren. Ich bekam das große Haus, den Lexus … aber der Kummer will einfach nicht vergehen. Kennen Sie das auch?«
»Ich kenne mich aus mit Kummer.«
Helen Ross ließ meine Worte auf sich wirken – und schloss aus meinem Tonfall, dass ich das Thema nicht weiter vertiefen wollte. Stattdessen brachte sie das Gespräch auf etwas anderes und erzählte, dass Calgary gerade einen Boom erlebe. Die Immobilienpreise hätten sich in den letzten anderthalb Jahren verdoppelt. Calgary sei die am schnellsten wachsende kanadische Stadt. Hier gäbe es mit die besten Restaurants des Landes und eine spannende Kunstszene, da die Stadt endlich begriffen hätte, dass es sich auszahlt, »die Kreativen« zu fördern. Und dann wären da noch die Rockies, gerade mal vierzig Minuten mit dem Auto entfernt …
Ich hatte das Gefühl, der Fleisch gewordenen Industrie- und Handelskammer
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