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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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für das prosaische, alles erdrückende moderne Leben. Als ich die Nebenstraßen abfuhr, löste der Anblick einer Mutter, die ihre Tochter in eine Familienkutsche setzte, einen schier grenzenlosen Kummer bei mir aus. Und die Erkenntnis, dass ich, egal, wo ich hinschaute, überall Kinder sehen würde. Sie waren in den Geschäften und Einkaufszentren, wurden in Kinderwagen durch die Ge gend geschoben, stiegen aus Schulbussen, bekamen Museums führungen, wurden von ihren Eltern von der Schule abgeholt. Es waren nicht nur die Dreijährigen, die mich bis ins Mark trafen. Von nun an würde mich jedes Kind in jeder Lebensphase bis zur Pubertät und darüber hinaus an all die Phasen erinnern, die wir zusammen hätten erleben können. An alles, was hätte sein können, aber nun niemals sein würde.
    Also beschloss ich, mich von diesen Vorortenklaven fernzuhalten, da dort mehr Kinder lebten als in meiner direkten Umgebung. Ich machte noch ein paar Einkäufe für meine Wohnung – eine Tisch-, eine Stehlampe, ein Teppich – und kehrte zum Wagen zurück. Dabei schwor ich mir, den Stadtkern nie mehr zu verlassen.
    Nachdem ich meine Wohnung eingerichtet hatte, entwickelte ich eine ganz bestimmte Routine. Meist wachte ich gegen Mittag auf. Dann ging ich zur 17., Ecke 9., wo ich regelmäßig im Café Beano frühstückte. Es war im Fünfzigerjahre-Retrostil gehalten, und man konnte dort richtig guten Espresso trinken. Es gab leckere Bagels und Muffins. Dort wurden auch die Morgenausgabe des Globe and Mail und der Calgary Herald verkauft. Und man wurde in Ruhe gelassen. Doch als ich eine Weile jeden Morgen erschienen war, fragte mich der Barista nach meinem Namen.
    »Nett, dich kennenzulernen, Jane«, sagte er. »Ich bin Stu.«
    »Freut mich, Stu.«
    Damit war unsere Unterhaltung beendet.
    Ich verbrachte in der Regel über anderthalb Stunden im Café Beano, bevor ich zwei oder drei Buchhandlungen an der 17. Avenue aufsuchte. Auch hier lernte mich das Personal schnell kennen, vor allem bei Prism Books, wo ich eine voll ständige gebundene Ausgabe von Auf der Suche nach der ver lorenen Zeit sowie die gesammelten Werke von Charles Dickens in einer Ausgabe von 1902 ergatterte. Ich hätte immer mehr Bücher kaufen können, die nur leider nicht in mein kleines Apartment passten, außerdem achtete ich sehr darauf, was ich ausgab.
    Die junge Frau hinter der Theke der Buchhandlung hieß Jan. Sie war leicht punkig angehaucht – ihre Haare hatten die Farben von Zuckerwatte –, und sie erzählte mir, dass sie bereits eine Reihe »schräger« Geschichten in kleinen Zeitschriften veröffentlicht hätte. Auch sie versuchte, mich in ein Gespräch zu verwickeln.
    »Sie kommen jeden Nachmittag her«, sagte sie.
    »Ich bin ein Gewohnheitstier.«
    »Und eine gute Kundin. Sie sind nicht zufällig Schriftstellerin?«
    »Nur Leserin.«
    »Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«
    Wir stellten uns vor.
    »Nun, wenn Sie keine Schriftstellerin sind und jeden Tag herkommen, was machen Sie dann?«
    »Ich nehme mir gerade eine kleine Auszeit«, sagte ich.
    »Und dafür haben Sie sich ausgerechnet Calgary ausgesucht?«
    »Ich bin hier mehr oder weniger aus Zufall gelandet.«
    »Echt? Ich bin in einem Kaff namens Regina aufgewachsen, kam hier an die Uni und bin irgendwie hängengeblieben. Einerseits finde ich die Stadt potthässlich – andererseits gibt es auch richtig coole Ecken, die einen gewissen Ausgleich zum Stadtbild schaffen. Das erinnert an manche Kie ´ slowski-Filme, die in irgendwelchen Warschauer Mietskasernen spielen. Haben Sie jemals Dekalog gesehen?«
    »Ja, ich kenne alle zehn Filmteile.«
    »Nun, ein paar von uns treffen sich jeden Donnerstagabend in einem Raum über der Buchhandlung – wir zeigen ein paar interessante Filme, trinken ein bisschen zu viel und tun so, als wären wir in Paris, Prag oder Berlin. Falls Sie Interesse haben …«
    »Ich überleg’s mir«, sagte ich. Mein Tonfall ließ erahnen, dass mir nicht nach Geselligkeit zumute war.
    Jan schien Verständnis dafür zu haben und sagte: »Wie dem auch sei, falls Sie irgendwann mal Lust haben, mit ein paar Gleichgesinnten abzuhängen – Sie sind herzlich eingeladen. Wir befinden uns alle in einer Art innerem Exil.«
    Aber ich nahm Jans Angebot nicht wahr. Denn das hätte bedeutet, tatsächlich mit anderen Menschen zu reden. Was wiederum Fragen aufgeworfen hätte, die ihrerseits …
    Jan schien zu begreifen, dass ich im Moment allein sein wollte, da sie mich niemals drängte, weitere

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