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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Wohnung entfernt läge und wo ich alles bekäme, was ich bräuchte.
    Bevor wir uns verabschiedeten, legte sie eine Hand auf meine Schulter und sagte: »Wir mussten natürlich ein paar Erkundigungen über Sie einholen. Ich war im Netz, um mich über Ihre Universitätskarriere zu informieren, und dabei habe ich auch von Ihrer Tragödie erfahren.«
    Ich versteifte mich sofort und wünschte mich weit weg.
    »Es tut mir so leid«, fuhr sie fort. »Ich weiß gar nicht, was ich …«
    »Bitte sagen Sie nichts«, würgte ich hervor.
    Sie zog ihre Hand zurück.
    »Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
    »Das haben Sie nicht. Es ist nur so …«
    So war das heute: Man lernte jemanden kennen, bekam den ein oder anderen Anhaltspunkt, googelte ihn und fand heraus …
    Doch das festigte nur meinen Entschluss, meine Sozialkontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Ich konnte im Moment einfach keine Freundlichkeit ertragen. Die Leute stellen einem ständig Fragen – gut gemeinte zwar, aber es bleiben dennoch Fragen. Und Fragen führen zu Antworten. Antworten wiederum zu …
    Also würde ich mich vollkommen zurückziehen.
    Aber vorher musste ich noch ein paar unerlässliche Dinge für meine neue dreiundzwanzig Quadratmeter große Welt kaufen.
    Die Chinook-Mall sah aus wie alle Einkaufszentren – überall Namen von Ladenketten und Designerboutiquen, die einen zum Kauf von unnützem Kram verführen sollten. Trotzdem fand ich ein Haushaltswarengeschäft, in dem ich zwei dunkelgraue Bettwäschesets, zwei Kissen, eine Steppdecke, Handtücher, eine Kaffeemaschine, ein paar Töpfe und Pfannen, ein weißes Speiseservice, Besteck und Gläser kaufte. Insgesamt gab ich knapp 1000 Dollar aus – aber für diesen Betrag war die Wohnung komplett eingerichtet. Jetzt fehlte nur noch eine kleine Stereoanlage, die mich weitere 200 Dollar kostete.
    Ich kehrte nach Hause zurück. Ich packte alles aus. Ich schloss die Stereoanlage an. Ich fand den Klassiksender CBC 2. Ich setzte mich in den Sessel. Wie aus dem Nichts überwältigten mich meine Erinnerungen erneut, und ich konnte nicht aufhören zu weinen, bis ich so erschöpft war, dass ich nur noch ins Bad wanken, mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, meinen Mantel und meine Wagenschlüssel nehmen und …
    … losfahren konnte.
    Da ich den Wagen noch zweieinhalb Tage gemietet hatte, beschloss ich das auszunutzen und … loszufahren.
    Ich verbrachte die Zeit damit, so viel wie möglich von Calgary zu erkunden.
    Der Taxifahrer, den ich an meinem ersten Vormittag in Calgary kennengelernt hatte, hatte recht – das Stadtgebiet war unglaublich ausufernd. Wie immer bei solchen Städten – erst recht, wenn sie in der Prärie liegen – hat man den Eindruck billig zusammengezimmerter Häuser, die hastig hochgezogen werden und wenig durchdacht sind. Es fehlt jedes Gespür für Geschichte, für ein kulturelles Erbe, für eine stimmige urbane Identität. In einem Antiquariat auf der 17. Avenue SW entdeckte ich ein paar Fotos von Calgary aus den Zwanzigerjahren. Sie alle zeigten eine florierende nordamerikanische Stadt, in der sich Frontier-Architektur mit Chicagoer Schnörkelei aus der Jahrhundertwende mischte. Bis auf das ein oder andere Überbleibsel in der Innenstadt hatte man alles weggesprengt und durch Türme aus Glas und Stahl ersetzt. Es gab ein paar interessante Viertel. In Kensington – direkt am Bow River – befanden sich eine ausgezeichnete Buchhandlung, ein malerischer Altbau, in dem Kunstfilme gezeigt wurden, ein paar fantastische Cafés. Überhaupt herrschte dort eine Atmosphäre, die mich an Cambridge erinnerte. In der Nähe lag noch ein Viertel namens Mission mit ähnlich angesagten Läden und Restaurants sowie eines, das Inglewood hieß: eine Gegend mit alten Lagerhallen gleich hinter dem sogenannten »Stadtkern«, die versuchte, sich einen Anstrich von Loft-Szene zu geben, wie man im Designerzeitschriftenjargon so schön sagte.
    Dann waren da noch die Ölmagnatenhäuser von Mount Royal, die teuren Junggesellenapartments in der Gegend von Eau Claire und die endlosen Vororte – Zeile um Zeile der gleichen Häuser oder Bungalows im Rancherstil, die sich schier endlos in die Prärie erstreckten. Sämtliche Stadtteile und Wohnanlagen hatten schicke Namen wie Killarney, Sweetwater, Sunridge, Westhills. Alle waren um Einkaufszentren und Einkaufsstraßen gruppiert. Alle besaßen jene Eintönigkeit, die man mit Militärkasernen verbindet. Alle waren ein Paradebeispiel

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