Aus der Welt
Haut. Wir brauchten fünf Minuten bis zum Palliser, und bis dahin waren meine Finger so steif, dass es wehtat, sie zu bewegen. Vor dem Hotel standen drei Taxis. Vern bugsierte uns in eines hinein und nannte dem Fahrer eine Adresse in der 29. Straße NW .
»Ich wohne gleich an der 17. Avenue SW «, sagte ich.
»Dahin fahren wir nicht.«
»Entführen Sie mich?«, fragte ich.
Vern schwieg, beugte sich vor und aktivierte auf meiner Seite die Kindersicherung.
»Vertrauen Sie mir, ich werde nicht aus einem fahrenden Wagen springen«, sagte ich.
»Ich habe das schon mal gemacht.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
»Warum?«
Er starrte auf seine Hände und begann langsam zu erzählen.
»Meine Tochter war gerade erst in die Psychiatrie eingewiesen worden. Ehrlich gesagt, hatte ich die Papiere unterschrieben, aufgrund deren sie eingewiesen wurde. Anschließend betrank ich mich eine Woche lang. Das endete damit, dass ich aus einem fahrenden Wagen sprang. Ich musste drei Wochen lang ins Krankenhaus. Mein linkes Bein, drei Rippen und mein Kiefer waren gebrochen. Ich kam auch auf die psychiatrische Station. Ich verlor meinen Job. Es war furchtbar – und ich möchte nicht, dass Sie etwas Ähnliches erleben.«
»Ich war schon in der Psychiatrie.«
Er quittierte meine Bemerkung mit einem stummen Nicken, und wir schwiegen, bis wir die 29. Straße NW erreichten. Das Taxi hielt vor einem bescheidenen Bungalow. Vern zahlte den Fahrer und führte mich hinein. Als wir über die Schwelle traten, betätigte er den Lichtschalter. Wir standen in einem Flur, der aussah, als wäre er 1965 eingerichtet worden: Ich erkannte eine verblichene braune Blümchentapete, eine antike Garderobe und einen Beistelltisch, auf dem zwei Spitzendeckchen lagen. (Wer benutzt heute noch Spitzendeckchen?) Er nahm meinen Mantel, hängte ihn auf und meinte, ich solle es mir im Wohnzimmer gemütlich machen.
»Bleiben Sie beim Whiskey?«, fragte er.
»Whiskey funktioniert.«
Das Wohnzimmer schmückte die gleiche Tapete. Es war mit schweren Mahagonimöbeln eingerichtet, die zu Garderobe und Beistelltisch im Flur passten. Schondeckchen lagen über den Kopfpolstern des übergroßen Sessels und dem Sofa. Es gab einen altehrwürdigen Konzertflügel, auf dem sich die Noten stapelten, und zwei Tiffany-Lampen auf zwei Beistelltischen. Aber am auffälligsten waren die Regale – vom Boden bis zur Decke voll mit Musikliteratur und Unmengen von CD s. Soweit ich sehen konnte, waren die CD s alphabetisch geordnet, und zwischen wichtigen Komponisten befanden sich kleine Trennstützen. Es gab auch eine hochwertige Stereoanlage, die zwei Regalbretter einnahm, sowie zwei große Lautsprecherboxen auf dem Boden.
Vern kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei Whiskey-Kristallgläser, eine Flasche Crown Royal, ein Eiskübel und ein kleiner Wasserkrug standen.
Er stellte das Tablett auf den Couchtisch.
»Das Zimmer ist beeindruckend«, sagte ich.
»Ich finde es ziemlich normal.«
»Aber die CD -Sammlung. Das müssen über tausend CD s sein.«
»Ungefähr elfhundert«, sagte er. »Die anderen sind im Keller.«
»Sie haben noch mehr?«
»Ja, ein paar.«
»Darf ich mal sehen?«
Vern zuckte die Achseln und zeigte dann mit dem Daumen auf eine Tür, die vom Wohnzimmer abging. Er öffnete sie, legte einen Schalter um, und ich folgte ihm eine schmale Treppe herunter in den …
Was ich dort sah, haute mich um. Denn in diesem ausgebauten Keller stand ein Regal nach dem anderen voller CD s, die ebenfalls perfekt geordnet waren. Auch hier befand sich eine Profi-Stereoanlage, an die zwei riesige Lautsprecher angeschlossen waren. Den Lautsprechern zugewandt war ein riesiger Sessel. Es gab eine große Tischplatte auf zwei Böcken und einen Bürostuhl mit hoher Rückenlehne, überall lagen Unterlagen, Bücher und ein Laptop. Dahinter stand ein Regal mit dem kompletten Grove Dictionary of Music and Musicians . Der Keller wirkte wie eine Mischung aus einem Musiktempel und einer Kommandozentrale. Wäre Dr. Strangelove ein Klassikfan gewesen, hätte er sich in dieser unterirdischen Höhle auf Anhieb zu Hause gefühlt.
»Großer Gott«, sagte ich. »Wirklich außergewöhnlich.«
»Äh … danke«, sagte Vern.
»Haben Sie die ganzen CD s gekauft?«
»Ähm … etwa ein Viertel. Der Rest … Na ja, schon mal was von der britischen Zeitschrift Gramophone gehört? Oder vom Stereo Review in den Staaten? Ich bespreche für beide seit fünfzehn Jahren CD s.«
»Und hier schreiben Sie Ihre
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