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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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sich seine Frau jetzt auch noch mit Gott ausgesöhnt hat. Aber ich habe da so meine Zweifel. Große Zweifel.«
    Bevor ich ging, bedankte ich mich bei Dwane und fragte, wie ich zum Haus der MacIntyres käme.
    »Es ist nur zwei Straßen von hier entfernt«, sagte er. »Sie erkennen es an den vielen Ü-Wagen davor. Ich glaube, die Schakale warten nur darauf, dass Ivys Leiche entdeckt wird, um Brendas hysterische Reaktion filmen zu können.«
    »Wenn man sein Kind verliert …«, hörte ich mich sagen und senkte schnell den Kopf.
    »Recht haben Sie. Ich denke jeden Tag daran, den mein Junge noch in Afghanistan ist. Daran, wie ich mit einer solchen Nachricht fertig würde. Ob ich überhaupt damit fertig würde.«
    Er starrte wieder in seinen Kaffee.
    »Ich glaube, ich habe zu viel geredet.«
    Nachdem ich Dwane verlassen hatte, fuhr ich sofort zum Haus der MacIntyres. Es war tatsächlich leicht zu finden. Fünf große Ü-Wagen parkten davor, außerdem wurde es von den entsprechenden Kamera- und Tonleuten belagert, die gelangweilt Zigaretten rauchten und Kaffee aus Pappbechern tranken. Es wirkte ziemlich heruntergekommen, brauchte dringend ein neues Dach, einen neuen Verputz und neue Stufen zur Haustür. An einer Leine hing steif gefrorene Wäsche, und im Vorgarten stand doch tatsächlich ein verrostetes Auto. Bei diesem Anblick musste ich sofort an Appalachia oder eine andere Redneck-Region in Nordamerika denken, die man sofort mit sozialen Missständen, Bildungsmangel und einem aussichtslosen Leben assoziiert. Der arme George MacIntyre hatte keine Chance. Alles, was mir Dwane – und vor ihm Missy Schulder – erzählt hatte, zeichnete das Bild eines Mannes, der in einer ewigen Ehehölle lebte. Sofort musste ich an meine Eltern, an mich und Theo denken. An das Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, die sich einfach nicht fair verhielten. George MacIntyre reagierte sich an anderen ab und trank. Ich reagierte mich an anderen ab und bildete mir ein, alles unter Kontrolle zu haben, glaubte, meine Depressionen vergessen zu können. George MacIntyre hatte ein Kind verloren. Ich hatte ein Kind verloren. Obwohl sich unser Leben sonst deutlich unterschied, teilten wir dieselbe unterschwellige Wut auf die Ungerechtigkeit der Welt. Und die hatte das zerstört, was uns in unserem Leben das Wichtigste war.
    Ich fuhr eine weitere halbe Stunde durch Townsend. Ich kam erneut an der Schule vorbei. Mir fiel auf, dass kein Haus hier sehr stabil, geschweige denn ein Prachtbau war. In dieser Gemeinde fehlte jedes Zeichen von Wohlstand. Ich trank einen Kaffee im Mom-and-Pop-Restaurant. Ich setzte mich an den Tresen und versuchte eine Unterhaltung mit der verhärmten Frau in Gang zu bringen, die mich bediente.
    »Das mit dem MacIntyre-Mädchen ist wirklich traurig, was?«, sagte ich.
    »Hm-hm«, erwiderte sie und musterte mich misstrauisch.
    »Kannten Sie sie oder die Familie?«
    »Jeder kennt die MacIntyres.«
    »Waren sie nette Nachbarn?«
    »Sie sind Reporterin, stimmt’s?«
    »Vielleicht.«
    »Das ist keine Antwort.«
    »Ja, ich bin Reporterin.«
    »Nun, jetzt wo ich das weiß, habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen.«
    »Ich erledige nur meinen Job«, sagte ich.
    »Und ich meinen – der darin besteht, das Restaurant zu führen und keine Ihrer Fragen zu beantworten. George MacIntyre hat auch so schon genug Schwierigkeiten …«
    »Das ist auch eine Art Antwort, nicht wahr?«
    »Wollen Sie mir das Wort im Mund herumdrehen?«
    »Nein, aber Ihrer Bemerkung entnehme ich, dass Sie MacIntyre nicht als das fleischgewordene Böse verteufeln.«
    »Diese Unterhaltung ist für mich beendet.«
    »War er so böse, wie ihn die Zeitungen beschreiben?«
    »Sagen Sie es mir! Sie stehen schließlich auf ihrer Seite.«
    »Ich bin auf niemandes Seite.«
    Hinter uns erschallte eine Stimme.
    »Brenda MacIntyre ist eine gottesfürchtige Frau.«
    Die Stimme gehörte einer Frau von Anfang vierzig. Sie war eher stämmig und trug die braune Polyesteruniform, die alle Angestellten bei Safeway tragen müssen. Als ich sie sah, fiel mir sofort wieder ein, dass Brenda MacIntyre ebenfalls bei dieser Supermarktkette arbeitete.
    »Gehören Sie auch zu ihrer Kirche?«, fragte ich.
    »Nein, aber wir beide wurden vom Herrn berührt. Und ich weiß, dass Brenda im Moment wirklich ganz furchtbar leidet – aber ihr Glaube gibt ihr Halt.«
    Von hinter der Theke kam die Stimme des Chefs.
    »Ich glaube, das reicht, Louise. Wir sollten jetzt unseren Gast bitten, den Kaffee auszutrinken

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