Aus der Welt
kleiner Segen war mir jedoch vergönnt: Schlaf. Ich nickte gefühlte Minuten weg. Aber als ich wach wurde und auf die Uhr sah, war es 2:43 Uhr. Wir waren wieder unterwegs, und wieder plärrte die Motivations- CD , wie ich erst jetzt wahrnahm. Wie fuhren über anderthalb Stunden, in denen Coursen Plattitüden wie »Ich muss mich behaupten!«, »Ich blicke angstfrei in die Zukunft« und »Ich stelle mich jeder Situation« von sich gab. Seine süßlich-sanfte Stimme widerte mich an und machte mich wütend. Ich blendete sie aus und horchte auf die Fahrgeräusche.
Etwa vierzig Minuten lang schien die Straße gut asphaltiert zu sein, ohne dass es Schlaglöcher oder wechselnden Straßenbelag gegeben hätte. Ich nahm auch wahr, dass wir fast das einzige Auto hier draußen waren. Sonst durchbrachen nur noch ein, zwei Lastwagen die einsame Stille.
Aber nach einer scharfen Rechtskurve änderte sich die Straße. Plötzlich holperten wir regelrecht vorwärts, sodass ich gegen die hintere Wand des Kofferraums geschleudert wurde. Ich konnte nur hoffen, dass sich Coursen nicht wunderte, welche Fracht diesen Lärm verursachte. Aber die CD lief in voller Lautstärke, und die Heizung arbeitete auch noch auf Hochtouren. Außerdem war das Knirschen der Reifen auf der Schotterstrecke dermaßen laut, dass es das Hinundherrollen meines Körpers übertönte.
Wir fuhren und fuhren. Ich sah wiederholt auf die Uhr. Zehn Minuten vergingen, dann fünfzehn und dann …
Wir wurden langsamer und blieben stehen. Das Motorengeräusch erstarb. Die Tür ging auf, aber dann entstand eine Pause, in der Coursen etwas aus dem Handschuhfach zu nehmen schien. Die Tür wurde zugeknallt, und ich konnte hören, wie sich seine Schritte vom Fahrzeug entfernten. Zum Glück schloss er diesmal nicht ab.
Nachdem die Schritte verklungen waren, wartete ich gut fünf Minuten, bevor ich mich unter der Abdeckung hervorwagte. Es fiel mir schwer, aufzustehen. Ich hatte mich über acht Stunden auf engstem Raum zusammengerollt, und jedes Gelenk war wie eingerostet. Die Erleichterung, mich endlich wieder rühren zu können, wich nackter Angst: vor dem, was mich jetzt erwartete. Der Angst, was Coursen mir antun könnte, wenn er mich fand …
Ich richtete mich zentimeterweise auf und sah aus den Wagenfenstern. Bis auf ein gedämpftes Licht ganz in der Nähe war es draußen pechschwarz. Ich kletterte mit dem Kopf voran über den Rücksitz, denn anders ging es nicht. Ich stützte mich mit den Händen ab, richtete mich erneut auf und öffnete möglichst langsam und leise eine der hinteren Türen. Ich stieg aus, schloss sie aber nicht hinter mir. Sofort traf mich ein scharfer Nordwind. Trotzdem zwang ich mich, langsam auf das Licht zuzugehen. Ich konnte den Boden kaum erkennen. Ich wusste nicht, wo ich hintrat – ob ich auf ein Gewässer oder eine Klippe zusteuerte … Vor mir sah ich nur das Licht, und ich bewegte mich Schritt für Schritt darauf zu.
Als ich näher kam, konnte ich den ungefähren Umriss eines Gebäudes ausmachen. Allmählich begann ich etwas zu erkennen. Es war eine Hütte. Das Licht kam aus der Hütte. Ich hörte auch eine Männerstimme – Coursens Stimme. Er ächzte und stöhnte und schrie gleichzeitig.
Ich war ungefähr zehn Meter von der Hütte entfernt. Direkt vor mir befand sich eine Tür und links davon ein kleines Fenster. Ich lief geduckt auf das Fenster zu. Als ich es erreicht hatte, setzte ich mich darunter, hörte Coursens rhythmische Atmung und ein weibliches Stöhnen.
Ich riskierte es, den Kopf zu heben und einen Blick durch das Fenster zu werfen. Was ich sah, war … unbeschreiblich. Ein vielleicht zwölf- oder dreizehnjähriges Mädchen lag auf einer schmutzigen Matratze und war von der Taille abwärts nackt. Eine an einer Kette befestigte Fußfessel umgab ihren linken Knöchel. Coursen lag mit heruntergezogenen Hosen auf ihr und stieß in sie hinein, während er sie beschimpfte. Ich setzte mich wieder und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich ertastete meine Umgebung und entdeckte eine Schaufel, die jemand an die Hauswand gelehnt hatte. Meine Hände waren schweißnass, als ich sie berührte, und mein Herz raste wie verrückt. Die Schaufel war groß und stabil. Ich ging vorsichtig in die Hocke und packte die Schaufel mit beiden Händen. Coursens Erniedrigungen wurden lauter, und die Schreie des Mädchens immer ängstlicher und extremer. Nach wie vor geduckt lief ich Zentimeter für Zentimeter zur Tür. Sie war geschlossen, wirkte aber
Weitere Kostenlose Bücher