Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
die Tür und rannte zum Fahrersitz. Der Wagen sprang sofort an. Als ich meine Hände aufs Lenkrad legte, zitterten sie so heftig, dass ich das Steuer regelrecht umklammern musste, um sie unter Kontrolle zu bringen. Ich machte die Scheinwerfer an und fuhr rückwärts auf den Schotterweg. Wir holperten eine Viertelstunde dahin. Ivy schwieg, und ich versuchte, das soeben Erlebte zu verdrängen. Als wir nach einem letzten Holperer endlich den Asphalt erreichten, fiel mir wieder ein, dass Coursen hier rechts abgebogen war. Also musste ich nach links abbiegen. Aber vorher nahm ich mein Handy und zog die Visitenkarte aus meinem Geldbeutel. Die Visitenkarte von Sergeant Clark. Am unteren Rand stand seine Handynummer. Ich wählte sie. Das Telefon klingelte eine Ewigkeit, bis er endlich dranging. Er klang heiser, bestimmt hatte ich ihn geweckt.
    »Sergeant, hier spricht Jane Howard.«
    »Meine Güte, wissen Sie, wie spät es ist?«
    »Genau halb fünf. Sie müssen sich sofort ins Auto setzen und mich in Townsend treffen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich bin ungefähr anderthalb Stunden von Townsend entfernt, also steigen Sie in Ihr Auto und erwarten mich vor der Kirche der Pfingstgemeinde.«
    Jetzt war er hellwach.
    »Nun ist die Grenze wirklich überschritten«, sagte er. »Wissen Sie, welche Probleme auf Sie warten, wenn …«
    »Ich will, dass Sie dort auf mich warten, bitte«, fuhr ich fort, ohne weiter auf ihn einzugehen. »Und ich will, dass ein Krankenwagen dort ist.«
    »Warum? Damit man Sie abtransportieren kann?«
    »Ich habe Ivy MacIntyre.«
    Schweigen. Und dann: »Sie reden Unsinn.«
    »Soll ich sie bis nach Calgary fahren?«
    »Im Ernst?«
    »Im Ernst.«
    »Sie sind verrückt.«
    »Richtig, Sergeant. Ich bin verrückt.«
    12
    Zwei Tage später verließ ich das Land. Sergeant Clark brachte mich sogar zum Flughafen – nur um sicherzugehen, dass ich wirklich »aus der Stadt verschwand«.
    Aber ich greife vor …
    Townsend.
    Die Straßen waren leer, und ich kam nach anderthalb Stunden an. Ich hielt nur einmal an der einzigen Tankstelle, die auf dem Weg lag, damit mir nicht das Benzin ausging, außerdem kaufte ich mehrere Liter Wasser. Beim Bezahlen musterte mich die höchstens zwanzigjährige Frau hinter der Theke und sagte: »Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber Sie scheinen eine wirklich harte Nacht hinter sich zu haben.«
    Ich schaffte es, mir ein verzweifeltes Lächeln abzuringen, und sagte: »Wenn Sie wüssten.«
    Dann ging ich zurück zum Wagen. Ivy lag immer noch zusammengerollt da und hatte den Daumen in den Mund gesteckt. Ich setzte mich neben sie, schraubte eine Literflasche Wasser auf und wies sie an, daraus zu trinken. Ich musste sie nicht groß überreden. Ich hob ihren Kopf und hielt die Flasche, während sie einen halben Liter auf einmal in sich hineinschüttete. Das Wasser schien sie ein wenig wiederzubeleben. Gleich nachdem sie die Flasche von sich geschoben hatte, packte sie meine Hände und zog sie wieder an sich. Daraufhin trank sie gierig den restlichen halben Liter aus.
    Dann waren wir wieder unterwegs und passierten ein Straßenschild, das noch hundertfünfzig Kilometer bis Townsend anzeigte.
    »Sobald wir da sind, wird man sich um dich kümmern und dafür sorgen, dass es dir besser geht«, sagte ich.
    »Versprochen?«
    Ihre Stimme war leise, gedämpft – aber immerhin hatte sie noch eine.
    »Versprochen«, sagte ich.
    »Wie heißen Sie?«
    »Eleanor«, log ich. »Und du?«
    »Das sagte ich bereits: Ivy.«
    Ich lächelte.
    »Ich weiß genau, wer du bist«, sagte ich.
    Sie verstummte. Zehn Minuten später sagte sie plötzlich: »Er hat die anderen Mädchen ermordet.«
    »Das hat er dir erzählt?«, sagte ich, bemüht, nicht allzu schockiert zu klingen.
    Sie nickte.
    »Hat er von Hildy und Mimi erzählt?«
    Sie nickte erneut.
    »Hat er auch gesagt, wo er sie vergraben hat?«, fragte ich.
    »Unter der Hütte befindet sich ein Keller. Er meinte, dass ich auch dort lande, sobald er mit mir fertig ist.«
    Sie verstummte wieder. Etwa fünf Minuten, bevor wir Townsend erreichten, sagte sie: »Als Erstes muss ich mit meinem Daddy reden. Ich weiß, dass er sich wahnsinnige Sorgen um mich macht.«
    Ich biss mir auf die Unterlippe und schwieg.
    Lichter perforierten den schwarzen Nachthimmel, als wir die Stadtgrenze erreichten. Schon während ich in die zur Pfingstgemeinde führende Nebenstraße einbog, sah ich das Aufgebot, das uns erwartete: zwei Polizeiautos, ein Zivilfahrzeug und ein Krankenwagen. Ich

Weitere Kostenlose Bücher