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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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das nicht besonders – ich hatte schon etwas Ähnliches vermutet. Aber Zeuge zu werden, wie Coursen dermaßen zynisch mit einem seiner Anhänger darüber sprach … war wirklich verstörend. Bestimmt auch, weil ich in seinem Kofferraum eingeklemmt war und vor Kälte zitterte. » Mach ihr klar, dass Schweigen Gold ist. Und dass sie sich lieber nicht mit mir anlegen soll. « Wenn er mich in seinem Fahrzeug entdeckte – wie würde er dann wohl dafür sorgen, dass ich schwieg?
    Die Fahrertür ging auf, und ich hielt die Luft an. Hoffentlich würde man meine vor Kälte klappernden Zähne nicht hören. Ich nahm wahr, wie sich Coursen auf den Fahrersitz fallen ließ und nach dem Wagenschlüssel suchte. Dann wurde der Motor angelassen und die Autoheizung aufgedreht. Aus den überall verteilten Lautsprechern kam seine Stimme – ein supersanfter Bariton: »Heute wollen wir lernen, der Negativität eine Absage zu erteilen. Egal, wer Sie heute sind – ich möchte, dass Sie hier und jetzt sagen: › Ich erteile der Negativität eine Absage!‹ «
    Und genau das tat Larry Coursen. Während er der Negativität eine Absage erteilte, legte er den ersten Gang ein und fuhr los.
    Die Fahrt dauerte nicht lange – vielleicht höchstens vier oder fünf Minuten. Unterwegs lief die Motivations- CD , auf der er seine Zuhörer aufrief, zu sagen: »Negativität ist ein Krebs – und ich werde nicht zulassen, dass mich dieser Krebs auffrisst.«
    Wieder befolgte Larry Coursen seine eigene Anweisung. Nachdem er festgestellt hatte, dass Negativität tatsächlich ein Krebs ist, hielt er an. Der Motor ging aus. Die Wärme, die sich gerade erst zaghaft ausgebreitet hatte, verebbte. Eine Wagentür fiel ins Schloss. Und dann tat er das Undenkbare: Mit einem verräterischen Piep-piep verriegelte er den Wagen und aktivierte die Alarmanlage.
    Ich kannte das Geräusch, weil mein alter VW die gleiche Alarmanlage besessen hatte. Einmal aktiviert, würde jede Bewegung im Wageninneren den Alarm auslösen. Da wir nur eine kurze Strecke gefahren waren, mutmaßte ich, dass wir vor Coursens Haus gehalten hatten. Bestimmt würde er jetzt ins Bett gehen, während ich zusammengerollt wie ein Fötus in seinem Kofferraum lag und mich zu Tode fror.
    Idiotisch, idiotisch, idiotisch.
    Ich begann zu weinen: Weil ich so blöd gewesen war, mich in diese unangenehme Situation zu bringen. Weil meine psychische Verfassung immer noch alles andere als stabil war. Und weil mir klar wurde, dass meine Trauer um Emily in den fünfzehn Monaten nach dem Unfall kein bisschen weniger geworden war.
    Nachdem ich sicherlich zehn Minuten geweint hatte und meine Panikattacke endlich nachließ, beschloss ich, einfach aufzuspringen, die Abdeckung zurückzuschieben, über den Rücksitz zu klettern, die Tür zu öffnen und die Straße hinunterzurennen. Coursen würde eine gute Minute brauchen, um auf den Alarm zu reagieren – und bis dahin wäre ich längst über alle Berge.
    Doch was dann? In mein armseliges, kleines Leben zurückkehren? In einen Job, der mich eigentlich kaum interessierte? In die kleine Wohnung, um dort abends allein herumzusitzen? Wollte ich wirklich so weitermachen, nur um mich von meiner unauslöschlichen Trauer abzulenken? Sprich:um die Zeit totzuschlagen?
    Warum jetzt aufhören? Warum davonlaufen, wo ich vielleicht kurz davorstand …
    Weißt du, was du herausfinden wirst? Dass Coursen mit seinem Wagen zwischen seinem Haus und seiner Kirche hin- und herpendelt. Und dass du ganz umsonst hier festsitzt, bis er den Wagen morgen irgendwann offen lässt und du dich hoffentlich davonschleichen kannst, ohne von der Polizei, Coursen oder einem Kumpel geschnappt zu werden.
    Das innere Streitgespräch wurde von einer noch drängenderen Sorge überschattet: Ich musste dringend pinkeln. Etwa eine Stunde lang hatte ich versucht, den Druck auf meine Blase und das Gefühl, gleich zu explodieren, zu ignorieren. Doch wenn ich jetzt nichts unternahm, riskierte ich hinterher noch ein Nierenversagen. Also nahm ich eine der Decken, faltete sie mehrere Male, schaffte es irgendwie, Jeans und Slip herunterzuziehen, schob dann die Decke unter mich und ließ es laufen.
    Das war alles furchtbar eklig und deprimierend, aber die Erleichterung war enorm. Anschließend faltete ich die schmutzige Decke noch einmal und schob sie so weit wie möglich von mir. Ich zog meine Jeans und den Parkareißverschluss wieder hoch und überlegte, ob ich die Nacht wohl ohne Frostbeulen überstehen würde.
    Ein

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