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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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schrie Suzy. »Dabei wusstest du ganz genau, was passiert, wenn sie den Bericht direkt auf meinen Schreibtisch legt!«
    »Weißt du, was ich wirklich an dir mag, Suzy?«, sagte Trish. »Dass ich mir im Vergleich zu dir völlig normal vorkomme.«
    »In den Eingangskorb !«, sagte sie an mich gewandt, während ihre Augen gefährlich funkelten. »Wenn du hier wieder lebend rauswillst, legst du alles in meinen Eingangskorb.«
    »Sie ist meine Schlampe, nicht deine«, sagte Trish. »Und wenn du deine Wutausbrüche nicht kontrollieren kannst …«
    »Du meinst wohl, ich kann nicht dafür sorgen, dass man dich rauswirft? Glaub bloß nicht …«
    »Ich weiß, was Brad denkt. Der hält dich nämlich für verrückt. Für die Sorte Kontrollfreak, gegen die sogar noch Analfixierte harmlos sind. Aber bitte sehr, führ dich ruhig weiter so auf, Fürstin Myschkin. Dann wirst du schon sehen, dass unser Boss dich nicht für die Allerprofitabelste hält.«
    »Wenn du mir blöd kommst, wird dir das noch leidtun.«
    Ich kam mir vor, als beobachtete ich zwei Kinder auf dem Spielplatz, die sich gegenseitig provozieren. Wie ich schon bald merkte, verhielten sich alle Mitarbeiter von Freedom Mutual so. Jeder war auf seine Art geschädigt oder ein Außenseiter. Nach ein paar Tagen im Handelsraum begriff ich langsam, dass Brad nur unglückliche Leute oder Sonderlinge einstellte, die sich etwas beweisen mussten. Er brachte ihnen die Marktgesetze bei und ließ sie dann in einer absolut darwinistischen Umgebung aufeinander los. Auf diese Weise förderte Brad das Survival of the Fittest , denn er besaß ein angeborenes Gespür dafür, was seine Firma wirklich vorwärtsbrachte. Der Konkurrenzkampf war nicht der einzige Auslöser für die Aggression im Handelsraum. Sie beruhte auch auf dem sicheren Instinkt unseres Chefs für schwierige Charaktere.
    »Bei uns bekommst du nur einen Job«, eröffnete mir Trish bei einem jener Absacker, auf denen sie jeden Abend nach der Arbeit bestand, »wenn du superintelligent und supergestört bist. Und wenn du wild entschlossen bist, dich in dieser Welt zu behaupten.«
    »Aber nicht jeder hier …«, hörte ich mich sagen.
    »… ist so verkorkst wie ich?«, führte Trish meinen Satz fort.
    »Das habe ich nicht gemeint.«
    »Nein, sondern ›nicht jeder hier ist durchgeknallt‹, was nahelegt, dass du Miss Normalo bist. Erlaube mir, dass ich dir ein kleines Geheimnis verrate: Brad ging es um deine Schwächen, darum, dass dich dein Arsch von Vater sitzen gelassen hat und du dich dank deiner lebensuntüchtigen Mutter allein durchbeißen musstest. Dass du dem einmaligen, ach so tollen Prof immer noch nachtrauerst, der angeblichen Liebe deines Lebens, obwohl er seine schreckliche Frau niemals verlassen hätte und dich einfach nur ausgenutzt hat. Zumal du ja ganz wild darauf warst, für Daddy die Beine breit zu machen …«
    In diesem Moment schüttete ich ihr meinen Drink ins Gesicht: einen Gin Tonic für zwölf Dollar, der sie von Kopf bis Fuß durchnässte. Ohne nachzudenken, warf ich Geld auf den Tisch und sagte: »Das ist für den Drink und die Reinigung.«
    Danach stürmte ich hinaus.
    Ich muss nach diesem Vorfall zwei Stunden ziellos herumgeirrt sein. Ich fühlte mich einsam, war verzweifelt und wahnsinnig wütend. Eine Wut, die sich aus Trauer speiste. David. Mein David. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er nicht mehr da war – und dass weder Betteln noch Flehen etwas daran ändern konnte. Obwohl mich die Trauer nie verließ und mich in den unmöglichsten Momenten überfiel, schaffte ich es meist, sie vor anderen zu verbergen. Aber immer wieder dachte ich: Wenn, wenn, wenn. Wenn er doch nur zu mir gekommen wäre, als die Presse anfing, ihn fertigzumachen! Wenn ich ihm doch nur ehrlich gesagt hätte, was ich für ihn empfinde! Dann hätte er seine furchtbare Frau vielleicht verlassen. Wenn ich doch nur direkt nach Maine gefahren wäre, nachdem man ihn von seinen Lehrverpflichtungen an der Universität entbunden hatte …
    Geht es im Leben auch noch um etwas anderes als um verpasste Gelegenheiten?
    Und jetzt erwischte mich die Trauer wieder hinterrücks – bis die Wut sie verjagte. Wut über die Häme in Trishs Stimme. Wut über die Schikanen, denen ich die ganze Woche über ausgesetzt gewesen war. Gut, vielleicht war das nur ein Test, ob ich es schaffte, mich in ihrer merkwürdigen Welt zu behaupten. Aber zwei nicht miteinander vereinbare Gedanken ließen mich einfach nicht mehr los: Erstens, ich

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