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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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der Russe war einunddreißig, sah aber aus wie fünfzig. Wie ich von Trish erfuhr, lag das allerdings hauptsächlich an seiner Angewohnheit, jeden Abend mindestens eine Flasche Wodka zu kippen. Er arbeitete sechzehn Stunden am Tag, nahm nie Urlaub, brauchte starke Schlafmittel, um einschlafen zu können, trug ständig einen Dreitagebart und sah immer so aus, als hätte er die Nacht in irgendeinem finsteren Keller verbracht und Kartoffelschnaps direkt aus der Destille getrunken. Er besaß ebenfalls die Angewohnheit, zu schreien, wenn etwas schiefging (aber nie länger als fünf Sekunden), und zwar in einer Mischung aus Russisch und Hebräisch.
    Aber zumindest gehörte Tony der Russe nicht zu den Rauchern. Davon gab es drei: Phil Ballensweig, übergewichtig, kahlköpfig, mit ständigen Blähungen und laut Brad der größte »Regenmacher« der Firma, der allein im letzten Jahr über 19 Millionen Dollar netto eingespielt hatte. Morrie Glutman, ein orthodoxer Jude, sieben Kinder, todernst, total seriös, der sich bis auf seine zwei Schachteln Zigaretten am Tag keinerlei Exzesse gönnte. Und Ken Botros, ein Amerikaner ägyptischer Abstammung, mit einem kleinen Ziegenbärtchen und Hang zu protzigem Schmuck. Alle drei rauchten bestimmt siebzig Zigaretten am Tag, was in Massachusetts natürlich nicht erlaubt war. Aber da Teer und Nikotin für die Performance von Ballensweig, Glutman und Botros einfach unerlässlich waren, hatte Freedom Mutual beschlossen, ihnen eine »Umgebung« zur Verfügung zu stellen, in der sie jener Sucht frönen konnten, die ihre wahnwitzige Rentabilität befeuerte. Laut Trish hatte Brad tatsächlich über 300 000 Dollar ausgegeben, damit in einem eigens geschreinerten Schrank neben dem Glaswürfel, in dem sie saßen, ein kleiner Luftfilter eingebaut wurde. Dieses Filtersystem saugte die Tabakwolke aus dem Raum, schaffte es, sie von Schadstoffen zu befreien und über den normalen Abluftschacht auszustoßen, ohne verräterische Rauchzeichen abzusondern. Und weil das alles höchst illegal war, investierte Freedom Mutual außerdem 50 000 Dollar, um die Gebäudeverwaltung und das zuständige Gesundheitsamt zu bestechen.
    »50 000 Dollar, nur damit ein paar Jungs rauchen dürfen?«, fragte ich, als mir Trish zum ersten Mal von dem Raucherraum-Trick erzählte.
    »Mindestens«, bestätigte mir Trish. »Soweit ich weiß, hat einer der Gesundheitsbeamten – ein kleines irisches Arschloch – eine Erhöhung von 50 Prozent gefordert, denn Brad hat’s ja. Fick dich, hat Brad nur gesagt, woraufhin der Kerl uns an seinen Vorgesetzten verpfiffen hat. Der Vorgesetzte rief Brad an – und bekam dieselbe Summe angeboten wie das irische Arschloch. Der Vorgesetzte nahm an und feuerte das irische Arschloch unter dem Vorwand, dieser hätte ihm die illegalen Machenschaften nie gemeldet. Und Ballensweig, Glutman und Botros rauchen weiterhin wie die Bekloppten und machen jede Menge Kohle für uns.«
    Trish mochte Ballensweig, Glutman und Botros nicht. Sie mochte auch Tony den Russen nicht. Sie fand Ted Franklin, »einfach nur deprimierend«. Und sie verachtete Cheryl und Suzy, in denen sie Erzrivalinnen sah.
    Cheryl war aus Jersey, hatte auftoupierte Haare und lange Krallen statt Fingernägel. Suzy, eine Frau von Ende vierzig aus dem San Fernando Valley, war mausgrau und hochnervös, ihr Vater war Bestattungsunternehmer. Deshalb hieß sie bei Trish und den anderen nur »die Starre«. Das hatte auch etwas mit ihrer legendären Sturheit zu tun. Obwohl sie eine brillante Analytikerin war, wenn es darum ging, eine Marktbewegung zu verfolgen, flippte sie völlig aus und schlug wild um sich, wenn sie enttäuscht wurde oder ein Untergebener irgendetwas falsch machte. Wenn man sie in Rage bringen wollte, konnte man nichts Schlimmeres tun, als ein Dokument, eine Zeitung oder auch nur eine Büroklammer auf ihrem Tisch liegen zu lassen. Ich beging diesen Fehler an meinem zweiten Tag als Trainee. Trish bat mich, Suzy ein paar Firmenberichte auf den Tisch zu legen. Also legte ich sie auf ihre Tastatur, nicht ohne vorher zu kontrollieren, ob ihr Computer ausgeschaltet war. Cheryl, die danebensaß, sah das, sagte aber nichts dazu. Zehn Minuten später kam Suzy zu mir gestürmt und warf den Bericht nach mir.
    »Wage es nie mehr, an meinem Arbeitsplatz herumzuwühlen«, sagte sie laut und beherrscht, mit einem drohenden Unterton.
    »Na, mal wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden, Psycho?«, fragte Trish.
    »Du hast sie geschickt!«,

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