Aus Nebel geboren
Wahrheit vielleicht nicht zu erkennen.“
„Nun denn, Juls …“, mischte sich Cruz ein und stützte sich mit den Armen auf den Tisch. „… erklär uns, was wir hier zu nachtschlafender Stunde sollen, und hör auf, in Rätseln zu sprechen.“
Er schien neugierig, denn die mächtigen Muskeln an seinen Armen waren angespannt und seine Finger trommelten auf die Tischplatte.
Julien nickte und bedeutete Said, die Truhe zu öffnen, die diesem als Sitz gedient hatte. Behutsam hob der Heide einen in Tuch gewickelten Gegenstand hervor und reichte ihn an Julien weiter. Dessen Hände zitterten, als er das Päckchen annahm.
Er sah in die Augen seiner Freunde, ehe er das Tuch zurückschlug. Said hatte ihn ausdrücklich gewarnt, weitere Männer in das Geheimnis einzuweihen. Aber diese Männer waren in den letzten zwei Jahren für Julien zu Brüdern geworden. Er vertraute jedem von ihnen sein Leben an. Wenn das, was er in Händen hielt, auch wirklich war, was Said behauptete, dann brauchte er treue Freunde an seiner Seite, um zu entscheiden, was das Richtige war.
Die letzte Falte des Tuchs rutschte beiseite und enthüllte den faustgroßen, im Licht der Fackeln in dunkelstem Rot glühenden Stein in Juliens Händen. Die Männer sogen überrascht die Luft ein.
„Himmel, Julien, was ist das? Wo hast du den her?“, fragte Louis und strich sich über den Bart.
„Ja, Juls, was ist das? Ein Edelstein?“, wollte auch Claudio wissen und trat näher.
„Dieser Stein ist ein Rubin“, antwortete Julien. „Aber er ist noch sehr viel mehr.“
Er schloss seine Finger um den oberen Teil der geschliffenen Kostbarkeit, und mit einem leisen Klacken drehte er die Spitze ab. „Es ist so etwas wie eine Ampulle“, erklärte er und hob den abgelösten Stöpsel hoch, damit ihn alle sehen konnten.
Said wurde nervös. Beunruhigt wanderte sein Blick zum unbewachten Zelteingang und zurück zu Julien.
„Christ!“, meldete er sich zu Wort. „Sei vorsichtig. Es genügt, mit einem Tropfen des Elixiers in Berührung zu kommen, und …“
„Und was? Warum trägt dieser heidnische Hurenbock eigentlich noch seinen Kopf auf den Schultern, Juls? Was hat er hier zu suchen?“, fragte Lamar und legte drohend die Hand an seinen Schwertknauf.
„Halte dich zurück, Lamar!“, rief Julien und funkelte seine Männer böse an. „Ich habe euch hierher befohlen, weil ich euer Vertrauen brauche! Ich weiß, dass ihr Fragen habt, mein Verhalten euch Rätsel aufgibt, aber bitte, hört mich jetzt an, denn die Nacht schwindet schneller, als mir lieb ist – und wir müssen eine Entscheidung von unfassbarer Größe treffen. Also schweigt und lasst mich erklären!“
Lamar schnaubte, schloss sich aber dem Nicken der anderen an.
„Dieser Edelstein – diese Ampulle, oder wie immer wir es nennen wollen, enthält eine Flüssigkeit“, fuhr Julien fort. „Said behauptet, diese berge eine unvorstellbare Kraft, und nach dem, was ich heute mit ihm erlebt habe, gibt es für mich keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln.“
Er holte tief Luft und sprach es aus.
„Angeblich verleiht es … Unsterblichkeit.“
Ungläubig starrten ihn seine Freunde an.
„Und er sagt, es gibt Menschen auf dieser Erde, die das Elixier angewendet haben, wie beispielsweise … Jesus von Nazareth.“
Gabriel bekreuzigte sich und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Bei allem, was mir heilig ist, Juls! Das kann nicht dein Ernst sein! Das ist Blasphemie!“
„Schlag dem Heiden den Kopf ab, dann wird auch sein gotteslästerliches Gespinn verstummen!“
Julien wartete, bis sich die Unruhe gelegt hatte.
„Wenn er die Wahrheit spricht, dann ist es nicht gotteslästerlich. Dann müssen wir sogar so weit gehen, unseren Glauben infrage zu stellen.“
Gabriel schüttelte den Kopf.
„Wie kannst du nur solchen Worten Gehör schenken? Das ist doch Wahnsinn!“
„Weil alles, was er gesagt hat, Sinn ergibt. Er hat mich heute bis zu den Überresten der Grabeskirche geführt. In den Trümmern gibt es einen geheimen Gang. Ob dieser aus der Zeit stammt, in der Helena von Konstantinopel, die Mutter von Kaiser Konstantin dem Großen, Grabungen hat durchführen lassen, oder ob der Gang bereits vorher existierte, ist nicht sicher. Aber – so vermutet Said – anscheinend hat Helena dieses Elixier für sich oder ihren Sohn finden wollen. Zusammen haben sie nach ihrer Suche unter dem ursprünglich römischen Tempel den Bau der Grabeskirche veranlasst, und wie es scheint, heilige Reliquien
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