Aus Nebel geboren
und erhob sich. Er war ein Narr, seine Zeit mit derartigem Geschwätz zu vergeuden. Es herrschte Krieg. Die Menschen logen und betrogen für viel Geringeres als ihr Überleben.
„Christ!“, rief ihm Said hinterher. „Der Beweis – das Elixier … es braucht einen neuen Hüter. Du musst es finden – und im Sinne der Menschheit handeln.“
Julien zögerte. Er hatte die Halle schon halb durchquert. Vor ihm wurden die Gefangenen, nachdem sie nicht bereit waren, ihrem Glauben abzuschwören, mit Stiefeltritten zum Richtplatz geschafft. Sein Geist drehte sich im Kreis, denn tief in ihm verlangte etwas danach, Saids Behauptung zu prüfen. Wütend auf sich selbst machte er kehrt. Der Heide kniete am Boden, und seine Stirn lag auf dem Bauch der Frau. Sie keuchte.
„Du wirst mit mir kommen und einen Beweis für deine Geschichte erbringen“, forderte Julien, aber der dunkelhaarige Krieger bewegte sich nicht.
„Hörst du, was ich dir befehle?“
Said sah ihn an.
„Jeder hört dich, Christ. Aber ich bleibe bei ihr – sie stirbt.“
Julien fluchte. Der Heide hatte recht. Die Frau würde den Weg zum Richtplatz nicht überleben. Er wünschte, er könnte etwas tun, aber ihm waren die Hände gebunden.
„Ich kann sie nicht retten, aber dich vielleicht“, bot er Said an. „Ich dachte, das war es, was ihr wolltet?“
„Du verstehst es immer noch nicht, Christ. Unser Leben ist es nicht, das wir schützen wollen – sondern die unermessliche Macht, die dieses Elixier birgt.“
„Dann steh auf und zeig mir diesen Zaubertrank“, befahl Julien erneut, aber wieder schüttelte Said den Kopf.
„Sie ist meine Frau. Deine Männer haben ihr genug Gewalt angetan. Gib mir deine Klinge, denn sie wünscht, durch meine Hand zu sterben.“
„Du weißt, dass das unmöglich ist. Ich kann dir mein Schwert nicht geben.“
„Feigling!“, murmelte Said. „Meine Ehre war an dich verschwendet.“
Julien biss die Zähne zusammen. Er sah über die Schulter, aber keiner schenkte ihnen Beachtung. Schnell zog er den Dolch aus seinem Gürtel und reichte ihn dem Heiden, griff aber zugleich nach seinem Schwert, um ihm zu zeigen, dass er ihm nicht vertraute.
Said nickte. Küsste den Stahl und kniete sich neben seine Frau.
„Danke, Christ“, murmelte sie, und Julien glaubte, Anis auf seiner Zunge zu schmecken. Als das Blut glänzend und warm aus ihrer Kehle sprudelte, war sich Julien sicher, nie wieder eine Stimme zu vernehmen, die lieblicher sein würde. Das Leben entwich aus ihrem Körper, und der furchtlose Krieger schämte sich nicht der Tränen, die er in aller Stille um sie vergoss.
Tief in der Nacht saß Julien in seinem Zelt und wartete. Nie zuvor hatte er sich so ruhelos und ohne jeden Halt im Leben gefühlt wie in diesem Moment. Als sich die Zeltvorhänge hoben und seine Männer mit fragenden Gesichtern hereinkamen, stand er auf und bot ihnen einen Platz an. Er goss Wein in Kelche und reichte sie herum. Dann wartete er, bis Ruhe einkehrte. Dabei entging ihm das Murmeln nicht, welches Saids Anwesenheit in seinem Zelt auslöste.
„Was ist los, Juls? Warum lässt du uns mitten in der Nacht rufen?“, fragte Lamar vorwurfsvoll und mit einem anzüglichen Grinsen. Er fasste sich zwischen die Beine. „Ich war gerade beschäftigt.“
Alle, bis auf Gabriel, lachten. Der sah ernst und besorgt aus.
„Wo warst du den ganzen Tag, Julien?“, fragte er aufgebracht. „Du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten. Raimund von Toulouse war außer sich, als er hörte, du hättest die Hinrichtungen verpasst. Du hast seinen ausdrücklichen Befehl missachtet! Er verlangt, dich zu sehen, und ich fürchte, diesmal kommst du nicht so glimpflich davon.“
Julien tat Gabriels Vorwürfe mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
„Ich war mit Wichtigerem beschäftigt“, entgegnete er. „Und das ist auch der Grund, weshalb ich euch bat herzukommen. Wo ist Gerome?“
„Er ist verschwunden. Zuletzt war er im Palast, als wir die Gefangenen zum Richtplatz geführt haben. Seither hat ihn keiner mehr gesehen“, erklärte Arjen, wurde aber von Gabriel unterbrochen.
„Was könnte wichtiger sein, als Raimunds Befehl Folge zu leisten. Weißt du nicht, was geredet wird? Man wird ihm die Krone über Jerusalem anbieten! Es ist gefährlich, Juls, den künftigen König zu verärgern.“
„Was ich euch zu sagen habe, ist bedeutsamer als alle Könige zusammen … wenn stimmt, was Said sagt. Darum seid ihr hier. Mein Verstand allein vermag die
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