Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
direkter beteiligt sein, unmittelbar, hautnah. Er möchte unbedingt erfahren, wie es ist, einen Menschen umzubringen, selbst Hand anzulegen. Und auch Karsten Klinger glaubt, berechtigte Gründe zu haben, noch einen Mord zu begehen.
Doch stattdessen klicken einige Monate später die Handschellen, und Karsten Klinger legt spontan ein Geständnis ab. Seine Offenheit, Direktheit und emotionale Distanziertheit irritieren die Vernehmungsbeamten. Unverblümt und ungefiltert berichtet der Mann während der ersten anderthalbstündigen Unterredung auch über die innere Struktur einer solchen Tat, über Absichten, Gefühle und Erfahrungen.
»Für mich war klar, dass wir diesen Jungen kaltmachen. Die Sache war geplant«, bekennt er freimütig. Und: »Ich war derjenige, der den Jungen effektiv umgebracht hat.« Karsten Klinger lässt bei seinen Schilderungen keine Gefühlsregung erkennen, der Mann erscheint den Ermittlern geradezu roboterhaft. »Ich kann eigentlich nicht genau sagen, was ich dabei empfunden habe«, antwortet Karsten Klinger, als nach seinen Gefühlen während der Tat gefragt wird. »Zu Beginn, als wir den gestreichelt haben, hat mich das ein bisschen erregt. Das war aber eigentlich nicht das, was ich mir erwartet hatte. Darüber war ich sehr enttäuscht. Die ganze Sache hat mir nichts gebracht. Da war einfach kein Gefühl, auch nicht, als ich den abgestochen habe.« Und wie denkt er über den Jungen, den er getötet hat? »Der war nur Mittel zum Zweck«, erklärt er ungerührt. »Effektiv ein Gegenstand, den man verwenden wollte zum Lustgewinn.«
»Was mich selber erschreckt hat«, bekennt er schließlich, »war, dass ich auch Tage später nichts empfunden habe. Wir hatten den umgebracht und waren danach einen Schnaps trinken gegangen. Eine halbe Stunde später fuhr ich nach Hause, legte mich hin und schlief tief und fest. Ich hatte keine Alpträume, kein mieses Gefühl, einfach nichts.« Und auch aus der sich hieraus ergebenden Konsequenz macht Karsten Klinger keinen Hehl: »Das war schon klar. Wir hätten uns wieder einen gegriffen. Ich wollte ja noch zu meinem Recht kommen.«
Wie ist es möglich, dass Menschen sich von ihresgleichen so weit entfernen? Dass Mitmenschen verdinglicht werden. Nur noch in Opfer- und Nicht-Opfer-Kategorien gedacht und gelebt wird. Dass abgründige Erlebniswelten entstehen, die sich jedem mäßigenden Einfluss entziehen. Dass nicht mehr das Leben im Vordergrund steht, sondern nur noch der Tod, die Lust, sich am Todeskampf zu ergötzen. Dass jedes Maß verlorengeht. Dass Menschen sich anderer Menschen bemächtigen und zu Tätern werden.
Antworten auf diese Fragen finden sich häufig in den Viten der Mörder. Begeben wir uns also auf Spurensuche im Leben des Mannes, der sich beim Mord an Christopher Mangels zutreffend als »Hauptakteur« bezeichnet hat. Karsten Klinger wird als einziges Kind eines Hauptfeldwebels der Bundeswehr und einer Bürokauffrau geboren. Die ersten Lebensjahre des Jungen verlaufen unauffällig: keine schlimmen Krankheiten, kein auffälliges Verhalten, nichts deutet auf eine Fehlentwicklung hin.
Während der Vater ein zurückhaltender Mensch ist, gibt die Mutter den Ton an, auch als sie nicht mehr berufstätig ist und sich ausschließlich um die Belange der Familie kümmert. Wenn es zwischen den Eltern zu Streitigkeiten kommt, und das ist häufig der Fall, gibt der Vater regelmäßig nach. Als Karsten acht Jahre alt ist, wird ein Keil in die Familie getrieben: Der Vater besteht auf einer Scheidung und verlässt Frau und Sohn. Karsten bleibt bei seiner stets unnahbaren Mutter, die aus finanziellen Gründen fortan als Tagesmutter zwei Kinder zu sich nimmt. Karsten erfährt zwar keine Zurückweisung, aber jetzt bleibt noch weniger Zeit für den Jungen. Keine wirklich unglückliche Kindheit, aber auch keine wirklich glückliche. Irgendwo dazwischen.
Seine schulischen Leistungen, er besucht die Realschule und schafft schließlich die Mittlere Reife, sind überwiegend durchschnittlich. Allein das Sozialverhalten des Jungen – und hier wird erstmals ein Muster erkennbar – ist ausgesprochen ungewöhnlich. Er hat weder einen Freund noch eine Freundin. Das wird sich auch im Erwachsenenalter nicht ändern. Karsten Klinger hat keine Angst vor den Menschen, auch empfindet er keine übertriebene Scham, nur interessiert es ihn einfach nicht, was jemand denkt oder spürt. Und er fühlt beim Alleinsein keine Einsamkeit. Er lebt für sich, nach eigenen Regeln,
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