Aus reiner Notwehr
strich sich das Haar aus dem Gesicht. “Bis zum Fais-Do-Do-Auftritt hatte ich keine Ahnung. Mittlerweile weiß ich, dass er nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um die Sache als Waffe gegen mich zu verwenden.” Sie wischte sich über die Augen und bemühte sich um Fassung. “Nach der Show sagte er es mir auf den Kopf zu. Er hatte mich in diesem bescheuerten Wohncontainer gegen die Wand geschleudert, mir reichte es endgültig, ich schrie, ich ließe mich scheiden, aber er meinte nur, dann würde alle Welt mein schmutziges kleines Geheimnis erfahren.” Wieder kamen ihr die Tränen. “Und er hatte vollkommen recht – es ist so schmutzig, wie es schmutziger nicht geht.”
Kate legte die Hand auf die Brust, merkte, wie ihr Herz raste, während ihr Hirn in verzweifelter Hast mögliche Folgen von Ambers Beichte analysierte. Amber musste am Ende ihrer Nerven gewesen sein und einen Ausweg um jeden Preis gesucht haben. Deke hatte sie in der Hand – ihre Karriere, ihre Reputation, ihre Zukunft. Konnte es sein, dass sie in jener Nacht hörte, wie Deke heimkam? Dass sie still und leise aus dem Haus schlüpfte und ihn im Wagen vorfand, wo er seinen Rausch ausschlief? Dass sie kaltblütig die Gelegenheit wahrnahm und ihn mit seiner eigenen Waffe erschoss?
Oder war es Stephen?
Beide gemeinsam?
Oder gar Leo?
Amber weinte lautlos vor sich hin. “Es sollte mit Stephen nie so weit kommen. Ich wollte doch gar nicht … gar nicht …” Sie gab verzweifelt auf. “Es tat so weh, so mies behandelt zu werden. Ich suchte eine Möglichkeit, wollte es ihm heimzahlen. Stephen … Stephen war einfach … da. Sein Sohn. Die ideale Vergeltungswaffe.”
Kate wurde fast übel. “Eine Waffe? Ein wehrloser, minderjähriger Junge? Anfällig für alles Mögliche? Dein Stiefsohn, dein Schutzbefohlener? Eine Waffe?”
“Kate, ich konnte doch nicht mehr klar denken! Verstehst du? Keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen! Ich hatte eine solche Wut, ich war doch nicht mehr ich selbst!”
“Der leibhaftige Satan, das war er!”
Beim Klang der Stimme fuhr Kate herum. Mit bebenden Händen stemmte sich ihre Mutter aus dem Sessel und wankte müde hinüber zu der großen Glaswand, deren Rahmen Leos Haus jenseits der Rasenfläche wie ein Gemälde einfasste. “Ich weiß, wie der Satan aussieht, und ich weiß, wie der Satan spricht. Ich weiß, was er mit der Seele einer Frau anrichten kann, und Deke Russo war ein Satan. Ein Teufel in Menschengestalt.”
Die dumpf pochende Wucht ihres Herzschlages, das drohende Unheil, welches sich dunkel ankündigte, beides wollte Kate schier die Brust zersprengen. “Sprichst du von meinem Vater?”, fragte sie, und fast stockte ihr der Atem.
“Ich spreche von John Madison.” Abgrundtiefe Verbitterung schwang in ihrer Stimme, und die eisige Starre ihrer Schultern übertrug all ihren Hass. “Ich ertrage es nicht, ihn mir als deinen Vater vorzustellen, Kate. Er war durch und durch schlecht, ein bösartiges Ungeheuer, wie es die Unterwelt nicht grässlicher erschaffen kann. Alles, was du über dich ergehen lassen musstest, Amber, all das hat auch er auf dem Gewissen, und glaube mir, ich weiß, wovon ich rede, ich weiß, wie sehr eine Frau versucht sein kann zu töten.”
Kate fasste sich an die Kehle, fürchtete, nicht ertragen zu können, was sich ihre Mutter nunmehr zu sagen anschickte, fühlte, wie ihr nacktes Entsetzen in den Leib kroch, sie lähmte, sie auf einen Stuhl zwang.
Unbeirrt sprach Victoria weiter. “John Madison war das Böse in Person, ein gemeines Scheusal. Allerdings bemerkte ich das erst nach der Heirat.” In der Erinnerung daran verzogen sich ihre Lippen vor Ekel. “Er setzte seinen ganzen Ehrgeiz daran, es seinem Vater, einem wahren Monstrum, gleichzutun und diese Familientradition hochzuhalten.” Ihre Hand spielte mit der Zugkordel der Jalousien. “Er taufte jene fürchterliche Yacht auf den Namen ‘Mayday’, als wolle er das Schicksal herausfordern, als wolle er Gott lästern mit einem Begriff, den Schiffe in Seenot und höchster Gefahr als SOS-Signal funken, einem Wort, das die Rache der Götter und die Katastrophe heraufbeschwören muss. Aber er lachte nur, machte sich lustig über mich ob meiner lächerlichen, abergläubischen Schwarzseherei. Er mokierte sich stets über alles, insbesondere über mich.” Sie blickte auf die Kordel in ihrer Hand und stieß ein bitteres, tonloses Lachen aus. “Und in der Tat sollte dieser Schiffsname sich als düstere Prophezeiung
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