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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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eingedrungen war. “Aber nicht tödlich. Er stand auf und ging auf dich los. Ich schrie und schrie!”
    “Ich gab einen zweiten Schuss ab, traf ihn erneut, er prallte rückwärts gegen den Herd, der Topf mit dem siedenden Öl stürzte um, eine Stichflamme loderte auf, entzündete ein Küchentuch, weitere Dinge gerieten in Brand, und in Sekundenschnelle stand die ganze Kombüse in Flammen.”
    Kate massierte die Stelle zwischen den Augen, dachte angestrengt nach, versuchte, sich an die Ereignisse zu erinnern. “Ich befand mich auf der Treppe, die zur Kabine führte.” Sie schaute zu Amber hinüber, die ihnen in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination lauschte, gebannt und regungslos. “Du bekamst von allem nichts mit. Leo musste dich sogar erst wecken, um dir die Schwimmweste anzulegen. Entgegen den an Bord herrschenden Regeln hatten wir sie abgestreift, als wir uns schlafen legten.”
    “Und alle trugen Schwimmwesten?”, wollte Amber nun wissen.
    “Selbstverständlich. Jeder, ausgenommen John. Leo und ich hielten ihn für tot und es deshalb für überflüssig, ihn noch in eine Schwimmweste zu packen. Die Zeit drängte, der Brand war außer Kontrolle geraten.
    “Was deine Mutter betrifft, Amber”, fuhr Victoria fort, wobei sie ihre heftig zitternden Hände wie zum Gebet faltete, “sie sprang gemeinsam mit uns über Bord, muss sich dann jedoch unter der Yacht in irgendetwas verfangen haben. Wieder und wieder machte Leo den verzweifelten Versuch, sie zu befreien, und als er sie endlich an die Oberfläche brachte, war es zu spät.”
    “Jetzt verstehe ich, warum du nie über den Tag damals sprechen wolltest”, bemerkte Kate.
    In den dunklen Augen ihrer Mutter spiegelte sich tiefes Bedauern. “Ihr wart beide zu klein. Es wäre nichts Gutes dabei herausgekommen, deshalb hielt ich es für besser, euch die hässlichen Einzelheiten zu ersparen.” Sie schaute durch Kate und Amber hindurch, und ihre Miene verdüsterte sich. “Aber wie lautet eine alte Weisheit: ‘Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.’ Dinge wie diese sind nie ganz vorbei, sie halten sich nur verborgen, um uns dann heimzusuchen, wenn wir am wenigsten mit ihnen rechnen. Hätte ich euch eingeweiht, euch beide sozusagen gewappnet mit der Wahrheit über die damaligen Ereignisse – vielleicht wäret ihr gestärkt daraus hervorgegangen. Amber hätte die Folgen von Drangsal und Gewalt möglicherweise früh genug erkannt und ihren Mann rechtzeitig verlassen. Und dir, Kate, wären unter Umständen deine Albträume und mysteriösen Flashbacks erspart geblieben, wenn du die Hintergründe gekannt und innerlich bewältigt hättest.”
    Weder Amber noch Kate wussten in diesem Moment etwas darauf zu erwidern.
    “Und Leo versprach dir, das Geheimnis auf ewig mit dir zu teilen?”, fragte Kate.
    “Durch glückliche Umstände wurden die Leichen nie gefunden”, erwiderte ihre Mutter. “Andererseits muss man zugeben, dass die uns nie ruhen ließen. Es wäre anders gekommen, hätte man John und Caroline bergen können.”
    Kate nickte. “Das stimmt wohl. Im juristischen Sinne handelte es sich um einen Fall von Notwehr.”
    “Eher um ausgleichende Gerechtigkeit, würde ich sagen”, entgegnete Amber.
    “Nur nicht für Caroline!”, fügte Victoria hinzu und betrachtete ihre Finger. Kate konnte sich vorstellen, dass sie ihre Hände gleichsam als mit dem Blut der Nachbarin befleckt ansah, und auf einmal begriff sie, was ihre Mutter gemeint haben musste, als sie sagte, sie sei Leo nur eine Last und seiner Zuneigung nicht würdig. Langsam verstand sie das Ausmaß der Verstrickung.
    Victoria lächelte traurig. “Siehst du, Amber, ich weiß also, was es bedeutet, den eigenen Mann zu hassen, seine Brutalität zu verabscheuen, nach Auswegen zu suchen, nach Vergeltung zu trachten, ihm das Leid, die Demütigungen heimzuzahlen. Ich weiß, wozu eine Frau fähig sein kann, wenn sie zum Äußersten getrieben wird.” Sie sank plötzlich in einen Sessel und fasste sich fahrig an die Stirn. “Entschuldigung …” Ihre Stimme klang brüchig und stockend. “Ich fürchte, mir ist …”
    Kate stürzte auf sie zu, doch Victoria erschlaffte und glitt zu Boden. “Mutter!” Ihr Puls war schwach und unregelmäßig. “Amber, hol meine Arzttasche! Sie liegt auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Und ruf den Notarzt!”
    Amber tat, wie ihr geheißen, und Kate breitete eine Decke über ihre Mutter, bettete ihren Kopf auf ein Sofakissen. “Wird alles

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