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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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nimmt. Falls ich dich bei einer Anklage wegen Mordes angemessen verteidigen soll, darf ich mich nicht von Emotionen leiten lassen.”
    “Aber du kannst mich doch vertreten, und wir können dennoch … du weißt schon … wir können uns dennoch nahestehen!”
    “Nein, Amber, das können wir eben nicht, und ich habe keine Lust, das mit dir zu diskutieren”, stellte Nick mit Nachdruck klar. “Ich melde mich wieder. Wenn es Neues gibt. Wenn ich dich brauche.”
    Mit gesenktem Kopf, den Telefonhörer an die Lippen gepresst, flüsterte sie: “Nick, ich werde dich immer brauchen!”
    Er hatte aufgelegt.
    “Sie ist zwar sehr schwach, Kate, aber stabil.” Sam nahm ihren Arm und geleitete sie heraus aus der Hektik der Schwesternstation und zu Victorias Zimmer. “Sie ist bei klarem Verstand und erfasst, was um sie herum vorgeht. Ich habe Morphium verordnet, und sie bekommt es, wann immer sie es wünscht. Damit fährt sie am besten und hat keinerlei Schmerzen.”
    “Es geht zu Ende, Sam, nicht wahr?” Kate presste die Finger auf die Lippen.
    “Du als Unfallärztin müsstest doch am besten wissen, dass eine solche Frage nicht zu beantworten ist. Bisher hat sie eine unglaubliche Stärke bewiesen. Krebspatienten bringen zuweilen einen außerordentlichen Lebenswillen auf. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten.”
    “Abwarten”, wiederholte Kate. Sie lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand und starrte auf ihre Schuhe. “Wie oft habe ich das schon sagen müssen!”
    Sam warf einen Blick auf Victorias Krankenblatt und legte die Stirn in Falten. “Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht. Ist vielleicht sonst noch etwas vorgefallen, bevor sie kollabierte?”
    Sonst noch etwas? Sie fragte sich, was sie ihm sagen sollte. Noch immer stand sie unter dem Eindruck der Bekenntnisse ihrer Mutter, dem abrupten Ende ihrer posttraumatischen Amnesie und Ambers bösem Geheimnis. “Nachdem du mich vor Mutters Haus abgesetzt hattest”, berichtete sie, “traf ich sie im Gespräch mit Amber an, die bei Problemen oft ihren Rat sucht. Unter anderem sprachen wir über Deke und wie er Amber zugesetzt hatte. Ich weiß jetzt, woher meine Flashbacks kommen.” Ihr Lachen klang sarkastisch und dumpf. “Aber ich bin nicht sicher, ob die Art und Weise, wie ich es erfahren habe, so gut war.”
    Sam beugte sich hinab, um ihr ins Gesicht sehen zu können. “Möchtest du’s mir erklären?”
    “Meine Mutter hat an jenem Tag auf der Yacht meinen Vater in Notwehr erschossen. Und ich habe damals alles mit angesehen.”
    “Kate!” Schock und Mitgefühl lagen in Sams Augen.
    “Ja, ich war platt, um es milde auszudrücken.” Sie massierte nervös ihr Arme und teilte ihm die restliche Geschichte mit. “Wahrscheinlich glaubte Mutter, Amber würde sich beruhigen, wenn sie erfuhr, dass auch sie als Ehefrau Opfer von Gewalt war. Deshalb nahm sie all ihre Energie zusammen, um sich diese quälende Last endlich von der Seele zu reden, und es ging ganz einfach über ihre Kräfte.”
    “Liebes, das tut mir leid!” Sam legte den Arm um ihre Hüften, und Kate klammerte sich nahezu blind an sein Handgelenk, als ihr die Tränen in die Augen schossen.
    “Allerdings hat das Ganze auch eine positive Seite: Ich weiß, dass ich nie wieder von diesen eigenartigen Albträumen und Rückblenden gepeinigt werde. Sie sind verschwunden. Frag mich nicht, warum, ich weiß es einfach. Aber ich hätte mich lieber auf andere Weise von ihnen befreit.” Ihre Lippen bebten, als sie zu lächeln versuchte.
    “Vielleicht dachte deine Mutter, ihr Bekenntnis würde nicht nur Amber beruhigen, sondern gleichzeitig dich von dieser Geißel erlösen.”
    “So etwas Ähnliches hat sie sogar gesagt.” Kate blinzelte durch ihre Tränen und wischte sich die Augenwinkel. “Ich glaube, so war es auch.”
    “Sie ist schon eine außergewöhnliche Frau, deine Mutter.”
    Kate nickte und verspürte einen Kloß im Hals. “Ja, ich weiß. Wäre ich nur früher nach Hause gekommen! Hätten wir nur mehr Zeit miteinander verbracht!”
    “Jedes Ding hat seine Zeit, Kate”, sagte Sam. “Vielleicht war ihre Stunde noch nicht gekommen – bis jetzt.”
    Einige Minuten standen sie schweigend beieinander. In Sam hatte ihre Mutter die beste Betreuung, die sie sich denken konnte; das war Kate mittlerweile klar, und die Erkenntnis stellte für sie kein Problem mehr dar. Mit geschlossenen Augen nahm sie tief die Gegenwart, die Nähe des Mannes in sich

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