Aus reiner Notwehr
…”
“Brillanter Internist, Katie. Jetzt komm aber, Mädchen!” Leo rutschte mit seinem Stuhl näher an seinen Schreibtisch. “Du hörst dich an, als hättest du persönlich etwas gegen ihn. Das überrascht mich, denn die meisten Frauen finden ihn sehr anziehend – sogar mehr als das, wenn man seinen Patientinnen glauben darf. Und ‘arrogant’ – das ist er nicht. Für mich ist es simples Selbstbewusstsein, und das kann er auch haben. Es war mein Glückstag, als er mir den Beteiligungsvorschlag machte. Er hätte sich Praxen in einem halben Dutzend anderer Bundesstaaten aussuchen können, aber jetzt, wo seine Frau tot ist und Mallory in diesem schwierigen Alter, also …” Leo seufzte. “Bei solchen Schicksalsschlägen kann ein Mann durchaus seinen Lebensweg überdenken.”
“Elaine ist tot?” Für einen Moment verschlug es ihr den Atem.
Leo runzelte die Stirn. “Ich dachte, das wüsstest du. Das muss Victoria dir doch …” Er schüttelte den Kopf. “Nein, wahrscheinlich war sie zu sehr mit dieser verfluchten Chemotherapie beschäftigt, als es passierte. Die hat sie ziemlich mitgenommen. Manchen Patienten macht sie nicht das Geringste aus, aber Vicky ist danach tagelang völlig fertig. Am Montag hatte sie ihren letzten Termin. Fast eine Woche her. So lange braucht sie, um sich zu erholen. Gottlob ist jetzt Schluss.”
“Ja, Gott sei Dank.” Nur teilweise erfasste sie, dass Leo mehr wie ein Ehemann sprach als wie ein guter Freund. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit Sam und Elaine. Und mit Mallory. “Seine Tochter ist jetzt im Teenageralter, nicht wahr?”
“Stimmt. Mallory ist gerade vierzehn geworden. Der Tod ihrer Mutter hat sie furchtbar getroffen.”
“Kein Wunder.”
Leo guckte aus zusammengekniffenen Augen gedankenverloren seine Zigarre an. “Wenn jemand stirbt, bedeutet das immer Kummer und Schmerz, egal, wer es ist. Aber meiner Meinung nach war es für Sam und Mallory das Beste. Natürlich würden sie das nie zugeben, nicht mal denken. Nur, diese Frau lebte fünf Jahre in einer anderen Welt.”
“Das … das wusste ich nicht …” Das Ganze traf sie derart unvermittelt, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Elaine tot! Gütiger Himmel! Dann kamen Leos Worte zurück. Andere Welt? “Hatte der Krebs das Hirn angegriffen?”
“Das Hirn? Nein, sie hatte Lymphdrüsenkrebs. Zum Schluss waren es auch noch die Knochen.”
“Du sagtest, sie lebte fünf Jahre in einer anderen Welt.”
“Ich meinte damit, dass sie sich von ihrem Selbstmordversuch nie wieder ganz erholt hat.”
“Auch davon hatte ich keine blasse Ahnung.” Kate unterzog noch einmal die hinter Glas gefangenen Vögel einer genaueren Betrachtung. Stumme, leblose Schönheiten. “Es muss eine Katastrophe für Mallory gewesen sein.”
“Für Sam auch. Sie konnten sie im Krankenhaus zwar wiederbeleben, aber sie war einfach zu lange ohne Sauerstoffzufuhr. Sie hatte erhebliche geistige Behinderungen davongetragen, glaube ich.”
“Das habe ich alles nicht gewusst.”
“Wie solltest du auch? Zu der Zeit kanntest du Sam und seine Familie ja nicht. Aber genug jetzt.” Er warf die angekaute Zigarre in den Mülleimer und legte die Hände gefaltet auf den Schreibtisch. “Reden wir lieber über dich und deine Pläne.”
“Leo, ich habe keine Pläne. Ich mache ein wenig Ferien und suche mir allmählich eine neue Stelle, nehme ich an.”
Wenn ich ein Krankenhaus finde, das mich nimmt.
Eine Suspendierung vom Dienst war ein riesiger schwarzer Fleck auf der beruflichen Weste eines jeden Arztes. Sie hatte noch nicht überlegt, ob sie klagen sollte. Zu allererst musste sie ergründen, ob man ihr nicht sogar die Approbation entziehen wollte. Die Verantwortung für den Tod eines Patienten zwang sie zu einer sehr genauen Überprüfung ihrer Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen. Sie hätte gern mit Leo darüber gesprochen, konnte jedoch die Gründe für ihre Beurlaubung nicht offenlegen, nicht einmal vor ihm.
“Wie wär’s, wenn du auch hier suchst?”, schlug er vor.
“Als ich dir vorhin das Angebot machte, meinte ich das durchaus ernst. Ich kann die Praxis nicht Knall auf Fall verlassen. Sam ist gut, aber er hat mehr Patienten, als er schaffen kann.”
“Dann stell doch noch einen ‘Herrn Doktor’ ein!”
Er stand auf und kam grinsend um den Schreibtisch herum. “Warum sollte ich, wenn hier eine tolle, ambitionierte, exzellente Frau Doktor sitzt?” Sein Arm
Weitere Kostenlose Bücher