Aus reiner Notwehr
irgendjemand Gerüchte über dich in die Welt setzt?”
“Wird sie denn bei euch arbeiten?”
“Ja, für einige Zeit. Dr. Leo kennt sie, seit sie ein kleines Mädchen war, und freut sich sehr über ihr Kommen. Sie kann hervorragende Zeugnisse vorweisen, und sobald du sie kennengelernt hast, wirst du sehen, sie ist eine ganz prima Frau. Muss ja nicht heute oder morgen sein.” Er strich ihr aufmunternd mit dem Zeigefinger über das Kinn. “Aber wenn du weiter so plötzlich hier hereingeschneit kommst, läufst du ihr früher oder später bestimmt über den Weg.”
“Dann komme ich nicht mehr!” Sie warf die Tücher in den Papierkorb, atmete tief durch, glättete ihr Haar und machte die Tür auf.
“Oh!”
“Hi, Mallory!” Diane Crawford stand vor der Tür und schaute sie mit einem musternden, misstrauischen Blick an.
“Tag, Diane”, sagte Mallory verlegen.
“Was ist, Mäuschen?” Diane konnte ihre Neugier kaum verbergen. “Man sieht dich ja in letzter Zeit so selten. Wie gefällt’s dir denn hier? Hast du schon Freunde gefunden? Geht nicht so schnell, was?”
“Es geht.” Unbehaglich und unbeholfen stand Mallory zwischen ihrem Vater und seiner Arzthelferin. Dann sah sie zu ihrer Erleichterung Ruby am Ende des Flurs und zögerte nicht lange. Diane vermochte nur mit Mühe ihren freundlichen Ton beizubehalten. “Ruf mich doch mal an, und dann gehen wir im ‘Coffee Galore’ einen Cappuccino trinken. Auch wenn der hier bestimmt nicht so gut schmeckt wie in New Orleans. Abgemacht?”
“Mhm. Tschüss.”
Sam und Diane schauten ihr nach, wie sie eilig den Korridor hinunter zur Aufnahme ging, wo Ruby sie mit einer mütterlichen Umarmung in Empfang nahm.
“Sie hat geheult, Sam”, sagte Diane. “Was hat sie? Kann ich dir irgendwie helfen?”
“Ich glaube nicht. Damit muss ich wohl allein klarkommen.” Sam sah immer noch nachdenklich seiner Tochter nach. “Trotzdem vielen Dank.”
Später, während der Mittagspause, hatte Sam in Gedanken versunken an seinem Schreibtisch gesessen, als er ganz plötzlich aufstand und den Korridor hinunterhastete. Er war auf der Suche nach Kate und fand sie in der Küche, wo sie sich gerade eine Tasse Tee zubereitete. “Ist es nicht zu heiß für das Zeug?”, fragte er und sah ihr zu, wie sie den Teebeutel in die Tasse tunkte, danach die Flüssigkeit herausdrückte und ihn in den Mülleimer warf. Dann nippte sie vorsichtig. “Ist es zu heiß für euer Gesöff, das ihr Kaffee nennt?”
“Das ist etwas anderes.” Er goss sich einen Chicory-Kaffee ein, als wolle er sein Argument noch deutlicher machen. “In Louisiana ist Kaffee Tradition. Tee dagegen ist nur eine Mode, ein Spleen.”
“Gebratener Alligator ist auch eine von euren sogenannten Traditionen, aber essen tue ich ihn deshalb noch lange nicht. Tee bekommt mir außerdem besser, ist schonender für die Nerven …”
Er lehnte sich mit der Hüfte gegen die Küchentheke und schaute ihr zu. “Nerven? Wieso? Geht dir denn etwas auf die Nerven?”
“Das Übliche.” Sie griff nach einer Serviette und wandte sich zum Gehen. “Ich lebe, also habe ich auch Sorgen. Warum dann noch zusätzlich einen nervösen Magen bekommen? Der macht die Dinge noch komplizierter.”
“Warte!” Er trat ihr in den Weg. “Trink deinen Tee, wenn du magst. Deswegen bin ich nicht gekommen. Ich wollt dich etwas fragen. Eine ganz blöde Sache. Ich wollte wissen, ob du das verstehst, denn ich tu’s nicht.” Er zuckte die Schultern. “Meine Güte, sie war doch noch ein Kind! Sie …”
“Sam, ich habe drei Patienten im Wartezimmer sitzen! Wenn du bitte zur Sache kommen könntest!”
Er stellte seine Kaffeetasse ab. “Mallory war eben hier, total aufgelöst, fast hysterisch. Sie weiß über uns Bescheid.”
“Uns? Über uns gibt es nichts zu wissen, es sei denn, sie meint unsere Arbeit hier in der Praxis.”
“Das auch. Sie war nicht gerade begeistert darüber, dass du hier einsteigst.”
“Kein Wunder. Du hast wahrlich kein Geheimnis daraus gemacht, dass du dagegen bist, und deine Meinung hat sie natürlich übernommen. Du bist schließlich ihr Vater.”
“Ein Vater, der ziemlich am Ende seines Lateins ist”, sagte er und schaute nachdenklich auf seine Schuhspitzen. “In letzter Zeit kommt mir zunehmend zu Bewusstsein, dass ich kaum etwas von meiner Tochter weiß.”
“Wenn du sonst keine Sorgen hast, Sam … Die Gefühlswelt eines Teenagers gehört zu den letzten noch ungeklärten Geheimnissen des Lebens.
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