Aus reiner Notwehr
entzog sie ihm mit einer heftigen Bewegung. “Nichts. Ich bin mit dem Rad gefallen, gestern schon. Daddy, wo warst du letzte Nacht? Ich habe gewartet und gewartet, weil ich mit dir reden musste.”
“Wir hatten einen Notfall, deshalb ist es spät geworden, und du schliefst schon, als ich kam. Wieso? Was gibt’s denn?”
“Es ist wegen Kate Madison. Ist sie nun hier oder nicht?”
Er war immer noch perplex über ihr plötzliches Auftauchen und schüttelte den Kopf. Eigentlich ließ sie sich selten sehen, und jetzt zitterte sie beinahe in Erwartung seiner Antwort. “Woher kennst du Kate? Was soll das alles?”
Sie stampfte zornig mit dem Fuß. “Ich kenne sie halt! Nun antworte schon, Daddy! Wird sie hier arbeiten?”
“Ja, sie …”
Ihr Gesicht überzog sich mit einem Ausdruck abgrundtiefer Verzweiflung; sie schüttelte den Kopf, starrte ihn fassungslos an und begann laut zu schluchzen, tränenüberströmt, die Augen weit aufgerissen, eine Hand auf ihren zitternden Lippen. Sam machte unschlüssig einen Schritt auf sie zu; sie streckte abwehrend einen Arm vor, warf sich auf die Couch und verbarg ihr Gesicht in den Händen. “Oh Daddy, das kannst du nicht machen!”
Sam war wie vor den Kopf geschlagen. “Was nicht machen? Um Himmels willen, was ist denn?”
Seine Tochter schüttelte erneut den Kopf, schaute auf und sah ihn mit einem Blick an, als ginge die Welt unter. Sam überkam eine grausige Vorahnung, aber er versuchte, sie zu verdrängen. Mallory konnte unmöglich von seiner Beziehung zu Kate wissen, sie war damals erst neun gewesen. Urplötzlich hatte er furchtbare Angst.
Er setzte sich neben sie auf die Couch, streichelte ihr übers Haar und wischte ihr eine Strähne aus dem verweinten Gesicht. “Mallory, Mäuschen, was soll das alles? Was hast du gegen Kate Madison?”
Das Mädchen drehte sich von ihm weg und hob trotzig das Kinn. “Das weißt du ganz genau!” Ihre Stimme klang hoch und schrill, wie die eines Kindes. “Das ist die, wegen der Mama sich beinahe umgebracht hätte. Ich hasse sie!”
Ihm war, als habe er einen Huftritt gegen die Brust bekommen. Dass seine Tochter von ihm und Kate etwas ahnte, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Großer Gott, was für Hirngespinste das Kind sich damals wohl eingebildet hatte? Er versuchte, so sachlich wie möglich zu klingen. “Wie kommst du darauf, Mallory? Was sollte deine Mama mit Kate zu schaffen gehabt haben?”
“Sie wollte, dass du dich in sie verliebst und uns verlässt!”
Sam musste heftig schlucken. “Das kannst du unmöglich wissen, Mally. Du hast sie nie gekannt, nie mit ihr gesprochen, oder?”
“Nein, das nicht … aber es stimmt, nicht wahr?”
Sie schauten sich lange an, Mallorys Blick elend, verzweifelnd, fragend, ihr Vater mit besorgtem, angsterfülltem Gesicht. “Wir kannten uns gut, Mallory. Wir waren im selben Krankenhaus tätig, sie als Ärztin im Praktikum, ich gehörte zum Stammpersonal. Wir waren Kollegen. Aber Kate hat sich nie an mich herangemacht. Wenn es Klatsch gab, dann war’s mir nicht bewusst. Von wem hast du das denn? Etwa von Mama? Hat deine Mutter dir etwas gesagt?”
Mallory sprang von der Couch auf. “Nein! Ist doch völlig egal, von wem ich es habe! Ich weiß es eben, basta! Viel wichtiger ist, wer es Mama gesteckt hat, oder? Es hat sie so getroffen, dass sie nicht weiterleben wollte!” Sie vergrub wieder ihr Gesicht in den Händen, doch diesmal ließ Sam sich nicht von ihr zurückstoßen, sondern nahm sie einfach in die Arme, und als sie wieder bitterlich zu weinen anfing, wiegte er sie sanft, nach tröstenden Worten ringend und voller Angst, sie könnte ihn nach Einzelheiten fragen. Aber sie anzulügen, das brachte er nicht über sich, und deshalb würde womöglich alles nur noch katastrophaler werden, als es ohnehin schon war.
“Sie darf sich nicht wieder in unser Leben einmischen, Daddy”, schluchzte Mallory.
Sam streichelte ihr über die Schulter, gab ihr einen aufmunternden Klaps und reichte ihr einige Papiertücher aus einer Schachtel auf seinem Schreibtisch. “Kate hat sich nicht in unser Leben gedrängt. Sie war für Mamas Krebserkrankung nicht verantwortlich, und sie hat mich auch nie dazu aufgefordert, euch ihretwegen zu verlassen. Das musst du mir glauben. Es ist die Wahrheit, Mallory.”
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und putzte sich die Nase. “Wirklich?”
“Wirklich. Man darf nicht jeden Tratsch für bare Münze nehmen. Oder hättest du es gern, wenn
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