Aus reiner Notwehr
Gehirnerschütterung, aber ein, zwei Tage Ruhe sind angesagt. Das wird eine ganz schöne Beule.” Kate reinigte die Platzwunde am Kopf, verband sie und streifte dann Pamelas Ärmel hoch. “Da hat er ihnen einen tiefen Kratzer zugefügt. Muss ja ein ziemliches Scharmützel gewesen sein!”
Pamela schüttelte sich. “Der Typ war echt total durchgeknallt. Völlig weg. Es gibt in meinem Job kaum etwas Schlimmeres als diese unberechenbaren Schläger. Ich weiß es noch von meiner Schwester, die ist von ihrem Mann auch verprügelt worden, musste ständig mit allem Möglichen rechnen, von heute auf morgen. Letzten Endes haben wir sie dazu bringen können, sich an eine Hilfsorganisation zu wenden. Sie hat Glück gehabt.” Sie schaute zu, wie Kate ihr den Verband am Arm anlegte. “Ich kenne Janine Baptiste aus unserer gemeinsamen Schulzeit, deshalb dachte ich, ich könnte ohne Verstärkung hinfahren, dieser Remo würde nicht auf eine Bekannte losgehen. Zeigt nur, was für ein Dummerchen ich bin.” Sie lachte bitter auf.
“Beim nächsten Mal wissen Sie’s besser.” Kate warf die verschmutzten Verbände in den Abfall, streifte die Handschuhe ab, drehte der jungen Polizeianwärterin den Rücken zu und begann, sich die Hände zu waschen.
“Das Schlimmste war Janines Töchterchen”, fuhr Pamela fort. “Die Kleine kauerte zu Tode verängstigt im Schlafzimmer in einer Ecke. Es will mir nicht in den Kopf, wie man das vor den Kindern machen kann, Dr. Madison. Diese Augen! Genauso war es bei den Kindern meiner Schwester, deshalb ist sie zum Schluss ausgezogen. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man …”
Kates Blick wanderte, während sie sich die Hände wusch, zu dem über dem Waschbecken angebrachten Spiegel, und ihr war, als würde Pamelas Stimme sanft verebben, wie ein verhallendes Echo. Dann Stille, und Kates Spiegelbild begann sich zu verzerren, löste sich auf in die verschwommenen Konturen eines Schlafzimmers und eines furchtsam in die Ecke gekauerten kleinen Mädchens, dessen Entsetzen sie buchstäblich spüren konnte. Sie vernahm die wutentbrannte Stimme des Mannes, sah, wie er in seiner Raserei zu einem weiteren, furchtbaren Hieb ausholte, spürte das panische Zittern der Frau, die flehend, abwehrend ihre Hände ausstreckte.
“Dr. Madison?”
Wie lange sie dieses Trugbild angestarrt hatte, bis die Stimme der jungen Polizistin endlich zu ihr durchdrang, wusste Kate nicht. Ihr Herz hämmerte, ihre Finger hielten die Regler umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, ein heißer Strahl schoss aus dem Wasserhahn, und Dampf verwischte die Umrisse des Phantoms im Spiegel. Für den Bruchteil eines Augenblicks war ihr das Zimmer – und die Personen darin – seltsam bekannt vorgekommen.
“Ist Ihnen schlecht?”
Mit einer jähen Bewegung drehte Kate den Wasserhahn zu und riss ein Papierhandtuch aus dem Wandhalter. “Wie haben Sie Ihre Schwester überzeugen können, dass sie Hilfe brauchte?”, fragte sie und wandte sich um. Die Polizistin sah sie mit einem merkwürdigen Blick an.
“Das konnte ich gar nicht.” Sie stand von der Behandlungsliege auf, klebte provisorisch ein Stück Heftpflaster über den Riss in ihrer Bluse und brachte ihre Uniform in Ordnung. “Dafür hat dieses Schwein von Howard selbst gesorgt. Das letzte Mal hat er sie krankenhausreif geprügelt, sie war sechs Tage mit einem gebrochenen Arm und einer Gehirnerschütterung in stationärer Behandlung.” Pamela sammelte ihre Sachen ein, und ihre Stimme bebte vor Abscheu. “Man hätte es ihm gar nicht zugetraut; sah aus wie ein Weichei, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann, aber in Wirklichkeit war er ein hinterhältiges, hundsgemeines Miststück. Aber diesmal war er zu weit gegangen. Das Krankenhaus schaltete die Polizei ein, und sein Chef bekam auch Wind von der Sache.” Das schwarz glänzende Lederhalfter mit ihrer Dienstwaffe wirkte lächerlich klobig an ihrer schmalen Hüfte, aber sie rückte es mit einer Selbstverständlichkeit zurecht, die einem Veteranen alle Ehre gemacht hätte.
Instinktiv mahnte Kate sie zur Vorsicht. “Sie wollen ja wohl nicht sofort wieder zum Dienst?” Innerlich zitterte sie noch unter den Nachwirkungen der eigenartigen Erscheinung im Spiegel.
Pamela lächelte. “Nicht für den Rest der Schicht, nein. Aber ehe ich für heute Feierabend mache, sorge ich noch dafür, dass dieser Remo eine Anzeige an den Hals bekommt. Janine erstattet bestimmt keine.” Sie hielt Kate die Hand hin. “Vielen
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