Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Albert ist mein bester Verbündeter: Wenn er mich begleitet, weiß er immer genau, auf welche Weise er mir Mitteilungen zukommen lassen kann; wenn er nicht bei mir ist, berichtet er mir über das Mobiltelefon Minute für Minute, was auf dem Platz geschieht.
Nach Carreras’ Ansicht lässt sich die Einsamkeit des Torwarts beim Strafstoß durchaus mit der Schutzlosigkeit des Tenors vor der Arie vergleichen.
Ich bezweifle nicht, dass es sich hier um ähnliche Situationen handelt, denn beide stehen im Augenblick der höchsten Verantwortung dem gespannten Publikum allein gegenüber. Wer in einem Haus wie der Mailänder Scala, der New Yorker Metropolitan Opera, der Wiener Staatsoper oder dem Liceu die schwierige Arie einer bekannten Oper singen muss, ist einem gewaltigen Druck ausgesetzt. Der Sänger weiß, dass es jetzt darauf ankommt. Das Publikum richtet erwartungsvolle Blicke auf ihn, er trägt eine große Verantwortung, und der Erfolg des Abends hängt davon ab, wie er dieses Stück bewältigt. Beinahe möchte ich so weit gehen, diese Situation weniger mit der Einsamkeit des Torwarts als mit der des Schützen gleichzusetzen, auf dessen Schultern die Last für die Verwandlung des Strafstoßes liegt. Schließlich ist es nichts Besonderes, wenn ein Torwart den Strafstoß nicht hält, vom Feldspieler hingegen wird natürlich erwartet, dass er ihn verwandelt. Die Anspannung ist ungeheuer, wenn man sich dieser Herausforderung in einem der großen Opernhäuser stellt, in das viele Menschen gekommen sind, um eine bestimmte Arie beispielsweise aus La Bohème, Tosca oder Carmen zu hören. Nicht immer ist man auf der Höhe seiner Fähigkeiten und fragt sich dann besorgt, ob man es schaffen wird, sein Bestes zu geben. Erst wenn man den Beifall des Publikums hört, lässt die Anspannung nach. Sofern es sich um das der Scala handelt, zweifellos das fachkundigste von allen, spürt man in diesem Augenblick, wie sich die Brust weitet und die Seele emporschwingt.
So groß ist die Liebe des Tenors zum Fußball, dass er in fernen Landen auch Spiele besucht, an denen sein Verein nicht beteiligt ist. Er berichtet, dass er einige Male in Buenos Aires von der Atmosphäre im Stadion der Mannschaft Boca Juniors, das wegen seiner Form den Spitznamen La Bombonera (Pralinenschachtel) trägt, von der Begeisterungsfähigkeit und
Inbrunst des dortigen Publikums geradezu hingerissen war. Im Übrigen habe er sich in einem Stadion noch nie erkältet und fügt erklärend hinzu, dass er auch Vorkehrungen dagegen treffe, bevor er ein Spiel besuche.
Wenn ich weiß, dass ich zwei Tage später auftreten muss, gehe ich gewöhnlich nicht zum Fußball, und auch nicht, wenn ich am nächsten Tag einen Flug antreten muss oder eine Probe habe. Ich versuche auf mich zu achten und bemühe mich um eine gewisse Disziplin. Bei Spielen im Winter sorge ich für passende Bekleidung, die meinen Hals schützt, außerdem lutsche ich Eukalyptusbonbons. Unmittelbar bevor ich singen muss, nehme ich lieber Halspastillen. Es ist schon vorgekommen, dass ich während einer einzigen Vorstellung eine halbe Dose davon verbrauchte. Eine Zeit lang hatte ich sogar eine Technik entwickelt, mit einer solchen Pastille im Mund zu singen. Sie gab mir nicht nur das Gefühl von Frische, sondern gewährte mir auch psychologische Unterstützung. Wir Opernsänger sind sonderbare Wesen: Wenn einem ein Auftritt besonders gelungen ist, nachdem man Melone gegessen hat, macht man es sich womöglich zur Gewohnheit, jeden Tag Melone zu essen. Zwar neige ich nicht sehr zu derlei Absonderlichkeiten, habe aber in meinem Beruf schon ungewöhnlich abergläubische Menschen erlebt. Ich selbst halte es mit Luciano Pavarotti, der zu sagen pflegte: »Ich bin nicht abergläubisch, denn das bringt Unglück.« Da es angeblich Glück bringt, auf der Bühne einen Nagel zu finden, hat Giacomo Aragall dort mit wahrer Hingabe nach Nägeln gesucht.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich gern mit einer kleinen katalanischen Fahne in der Hosentasche auftrete. Es handelt sich dabei nicht um ein Taschentuch in unseren Nationalfarben, sondern um ein kleines in Plastik eingeschweißtes Stück Stoff. Ich habe mir das vor über zwanzig Jahren angewöhnt, und obwohl es nicht mehr dasselbe ist, weil sich so etwas im Laufe der Zeit auflöst, fühle ich mich wohl, wenn ich dies kleine Symbol bei mir trage, das auf meine Herkunft verweist. An der Wiener Staatsoper hatte ich einen blau und scharlachrot gestreiften Morgenmantel
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