Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Disziplin. Und Gehorsam. Über dieses und jenes. Blablabla. Wenn ich jetzt ein Klavier vor mir hätte, würde ich Chopin spielen. Ich würde etwas von Liszt probieren. Ich würde Beethoven in die Tasten hämmern, nur damit mein Onkel - mein zukünftiger Ehemann - endlich still ist. Es ist mir gleichgültig, dass er ein Apostel ist. Ich möchte nur, dass er die Klappe hält. Wie ist es nur möglich, dass dieser Mann der Bruder meines Vaters ist?
    Endlich, endlich ist Onkel Hyrum mit dem Essen fertig. Er fordert Vater auf, das Dankgebet zu sprechen. Mein Onkel hat sich mit niemandem unterhalten. Er hat nur zu uns gesprochen. Er hat nie auf eine Antwort gewartet. Ich kann nur an eines denken: Wie sehr ich ihn hasse.
    Dann sagt Onkel Hyrum: »Kyra, bring mich bis zu eurem Gartentor.«
    »Wir haben kein Gartentor«, erwidere ich. Unser Garten ist nur mit Steinen von den Gärten der anderen Frauen meines Vaters abgegrenzt.
    »Ach ja«, sagt er. Seine Augen sind wie Knöpfe. Wie Knöpfe von alten Mänteln, die schon ganz abgewetzt sind. Ich hasse ihn! Ich hasse ihn und seine Knopfaugen.
    Ich bleibe sitzen.
    »Kyra«, sagt mein Vater leise über den Tisch hinweg. Margaret sagt: »Zwinge sie nicht, mit ihm zu gehen.« Sie fängt an zu weinen, dann bricht auch Carolina in Tränen aus. Laura geht eilig zur Spüle und tut so, als wäre sie mit
dem Abwasch beschäftigt. Auch mir ist zum Weinen zumute, aber ich weine nicht. Ich habe einen solchen Hass in mir, dass ich speien könnte.
    Ich gehe zur Tür, wo Onkel Hyrum steht. Er will meine Hände in seine nehmen, aber ich wehre mich.
    Ich werde mich immer wehren , schreit eine fremde Stimme in meinem Kopf.
    Die Nacht ist kalt und der Mond hat den Garten in ein milchiges Licht getaucht.
    »Verstehst du, was geschehen wird?«, fragt Onkel Hyrum, als wir zu den Steinen kommen, die den Garten meiner Mutter begrenzen. Er wartet meine Antwort nicht ab. »Ich glaube nicht, dass du das verstehst.« Er verschränkt die Arme auf dem Rücken und wiegt den Oberkörper hin und her. Er blickt dorthin, wo der Tempel steht. »Du bist für mich bestimmt. Du bist mir schon aufgefallen, als du noch klein warst, und ich habe gebetet, dass du meine Frau wirst.« Er schweigt einen Augenblick. »Wenn du das tust, was ich von dir erwarte, dann wird das Leben viel einfacher für dich sein, Kyra. Und für deinen Vater. Und für deine Mütter.« Er holt tief Luft. »Schick deinen Vater nicht noch einmal zu Prophet Childs.«
    Ich drücke das Rückgrat durch und blicke Onkel Hyrum direkt ins Gesicht. Ich werde Vater immer und immer und immer wieder bitten, zum Propheten zu gehen, denke ich, ich werde ihn so lange bitten, bis Prophet Childs und Gott mich erhören.
    Onkel Hyrum schaut mich nicht an, er blickt weiter in die Ferne.

    »Du weißt, was mit denen geschieht, die sich Gott widersetzen, nicht wahr?«
    Ich versuche, mich zu beherrschen, aber es gelingt mir nicht. Erschrocken schnappe ich nach Luft.
    Onkel Hyrum sieht mich an und lächelt. Er hat gewonnen und er weiß es. »Gott hat dich mir gegeben, Kyra Leigh. Du wirst tun, was Sein Wille ist. Was des Propheten Wille ist. Was mein Wille ist.« Dann geht Onkel Hyrum davon und lässt mich in der milchigen Mondnacht stehen.
     
     
    Ich kann mich noch an Bill Trophy erinnern. Er hat immer gelacht. Er hat den Kopf in den Nacken geworfen und gelacht, es erstaunte mich, wie laut er lachen konnte. Mutter hat gesagt, er habe ein ansteckendes Lächeln.
    »Aber«, flüsterte sie mir und meinen Schwestern zu, als Vater nicht zu Hause war, »er hätte auf den Propheten hören sollen.«
    Vor drei oder vier Jahren ist Bill verschwunden. Ich wette, er war noch nicht mal achtzehn, als er weglief.
    Ich erinnere mich gut.
    »Er ist bei den Verlorenen Jungen«, hatte Mutter uns erklärt. »Er ist mit ihnen weggegangen. Dorthin, wo alle wie er enden. Irgendwie haben sie alle das gleiche Schicksal.« Mutter sah uns nicht an. »Das haben wir gehört. Zumindest hoffen wir es.«
    Und Ellen. Die stille Ellen. Sie war genau das Gegenteil von Bill. Mutter sagte, sie sei zierlich gebaut. Sie war winzig.

    Ich erinnere mich, dass Ellen und Bill zusammen waren. Ich erinnere mich, dass Mutter Sarah zu mir sagte, ich müsse immer gehorsam sein.
    Ich erinnere mich, dass Schüsse zu hören waren.
    Und ich frage mich, warum Bill Trophy zu den Verlorenen Jungen laufen durfte, aber Ellen nicht.
    Ellen wollte Bill heiraten. (Aber als Mädchen wird man ja nicht gefragt.) Er hatte ein so

Weitere Kostenlose Bücher