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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wie hört sich das an?«
    Die Frauen benehmen sich wie alberne Gänse, wie ich es sonst nur aus meinen Büchern kenne. Sie sind geschäftig, aufgekratzt, bestimmend. Wenn wir in die Stadt gingen, um etwas zu erledigen, das Spaß macht, wäre es wirklich lustig. Auswärts essen? Ich habe noch nie irgendwo anders gegessen als hier bei uns. Und immer wurde das Essen von meinen Müttern oder, bei Feierlichkeiten, von einer anderen Frau der Gemeinde ausgerichtet.
    »Zieh ein sauberes Kleid an«, sagt Mutter. Sie zeigt auf unsere Schlafecke.
    Margaret steht neben mir, klein und unglücklich.
    Die zwei anderen Mütter eilen in ihre Wohnwagen zurück, aber vorher sagt Mutter Claire noch: »Wir müssen rechtzeitig wieder zu Hause sein zum Abendessen mit Bruder Hyrum. Wir müssen uns beeilen.«
    Oh, diese Verabredung heute Abend. Diese Verabredung. War denn gestern Abend nicht schon genug?
    »Teufel«, sagt Margaret. »Ti-ta-teufel.« Dann schlingt sie die Arme um meinen Hals und drückt mich fest. Ich rieche ihr Gesicht, es riecht süß, wie nach Zucker. Dann läuft sie in die Küche, um das Frühstücksgeschirr zu spülen, und ich bleibe alleine zurück.
    Wenn ich Joshua lieben dürfte, dann würde ich ihnen jetzt und hier sagen, dass ich tatsächlich den Stoff für ein Hochzeitskleid gut gebrauchen könnte, weil Joshua gerade heute mit dem Propheten über unsere Hochzeit sprechen will. Aber ich darf nichts sagen. Also stapfe ich mit Zornestränen in den Augen in meinem Schrank und
schnappe mir ein anderes Kleid und frische Socken.
    »Kyra?«
    Laura steht in der Tür. Aus der Küche höre ich das Wasser laufen. Irgendwo spielt Carolina.
    »Mutter hat gesagt, ich könnte mitkommen.« Sie hat ein dunkelblaues Kleid an. Ihre Augenfarbe erinnert mich an ein Bild vom Meer, das ich einmal in einem Buch in der Rollenden Bibliothek von Ironton gesehen habe. »Wenn du es willst.«
    »Natürlich«, antworte ich. »Ich will, dass du mitkommst, Laura.«
     
     
    »Bist du fertig, Kyra?« Mutter Claire steckt den Kopf herein, sie trägt Mariah auf die Hüfte gestützt. »Wir haben eine lange Fahrt vor uns.«
    Ich habe mein Gesicht gewaschen und mich umgezogen. Ich komme mir vor wie jene Laura in dem Buch Unsere kleine Farm . Wir putzen uns genauso heraus wie sie, damit wir auch ordentlich aussehen, bevor wir in die Stadt fahren.
    Meine Laura und ich haben uns gegenseitig die Zöpfe geflochten. Wir haben darauf geachtet, dass unsere Sachen frisch gebügelt sind und kein Loch in unseren Strümpfen ist. Ich habe unsere schwarzen Schuhe geputzt.
    Keine von uns beiden spricht ein Wort. Ich kann nichts tun, um die Fahrt zu verhindern. Gar nichts. Ich nehme Laura bei der Hand.
    Draußen zieht ein Traum von einem Morgen herauf.
Alles ist wunderschön: Die Luft ist frisch. Der Himmel ist so blau, dass die Augen wehtun. Ein Windhauch lässt die Blätter meines Weidenbaums erzittern. Es ist, als wollten sie mir zum Abschied winken. Alles ist still, nur ein Baby schreit in einem der Wohnwagen.
    Mutter Victoria klimpert mit den Schlüsseln. »Gehen wir«, sagt sie und lacht. Sie scheint es eilig zu haben, von hier weg zu kommen. Sie kann es kaum erwarten, die Welt da draußen zu betreten.
    Wir gehen zu unserem Familienbus, einem Sechzehnsitzer, der für uns alle schon seit Jahren zu klein ist.
    Mutter Sarah setzt sich auf den Beifahrersitz. Mutter Victoria lässt den Motor an, während Mutter Claire Mariah in ihrem Kindersitz festschnallt.
    Ich setze mich auf die mittlere Sitzbank und ziehe Laura zu mir her.
    Wir fahren langsam über die dunkel gepflasterten Straßen, vorbei an den Wohnwagen, am Tempel, am Laden, am Gemeindesaal. Wir fahren auf die Tore zu, hinter denen das Land der Erwählten aufhört.
    Wenn wir in die Stadt fahren, dann gehen immer drei oder vier Familien gemeinsam. »Je mehr wir sind, desto sicherer sind wir«, pflegt Prophet Childs zu sagen.
    Aber nicht heute. Heute sind es nur meine drei Mütter und Laura und die kleine Mariah, weil sie noch ein Baby ist.
    Ich sehe Laura an, die schweigend neben mir sitzt.
    Könnte ich ohne meine Schwestern leben? Ohne Laura? Selbst wenn es Joshua zuliebe wäre?
    Laura drückt meine Hand, aber sie sieht mich nicht an.

    Kann ich mir überhaupt vorstellen, sie jemals zu verlassen?
    Aber ich werde sie verlassen.
    In einem Monat werde ich nicht mehr da sein.
    Der Stoff, heute Morgen.
    Die Verabredung, heute Abend.
    Die Tage werden im Nu vergehen.
    Und dann werde ich diese Frauen und meine

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