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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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rieche noch ein bisschen von seiner Rasiercreme. Ich schließe die Augen und atme tief den Geruch meines Vaters ein. Ich lehne mich an seine Schulter, nur um ein wenig auszuruhen und um
ihn lieb zu haben und um zu wünschen, er könnte mich retten. Plötzlich sagt er: »Weißt du noch, was mit Bruder Alex Delango geschehen ist?«
    Ein Windhauch bringt den Duft nach Salbei mit sich. »Ja«, antworte ich.
    »Weißt du noch, wie er alles verloren hat, nur weil er es gewagt hatte, dem Propheten zu widersprechen?«
    Einen Augenblick sitzen wir einfach so da, zwischen uns nur die Stille und die kühle Luft.
    »Sie haben ihm die Kinder und die Frauen weggenommen und sie zwei anderen Brüdern gegeben. Sie haben ihn weggejagt, zusammen mit Bruder Olsen und Bruder Adamson. Die drei wurden vertrieben, alle haben sie ihre Familien verloren, weil sie den Propheten verärgert haben. Weißt du das noch?«
    Ich nicke. »Ja, Vater.«
    »Weißt du noch, wie die neuen Väter zu den Frauen und Kindern waren?«
    Ich nicke wieder.
    Der Nachthimmel steht voller Sterne. Sie scheinen zum Greifen nahe zu sein. Wenn ich nicht solche Schmerzen hätte, ich wette, ich könnte einen davon berühren.
    Wir sagen nichts mehr, Vater und ich. Wir sitzen still da. Aber ich weiß, was er mir sagen will.
    Ich muss tun, was sie mir befehlen.
    Oder er wird alles verlieren.

III
    Mutter Sarah geht es wieder schlecht. Sie erbricht zwar nicht mehr, aber ihr Gesicht ist schweißbedeckt. Ihre Hautfarbe ist grau, außer den zwei roten Flecken auf ihren Wangen. Ihre Lippen sind trocken. Sie verlässt nicht einmal mehr das Bett. Aber ich kann nur an mich selbst denken. Mir tut alles weh. Blaue Flecken haben sich an Armen und Beinen gebildet und auch mein Rücken ist übersät davon. Wann ist das passiert? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Onkel Hyrum mich ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen hat. Ich habe Kopfschmerzen, die noch stärker werden, wenn mir die Sonne in die Augen scheint. Ich schließe die Vorhänge und sage leise zu meinen Schwestern: »Lassen wir sie heute zu, okay?«
    Laura, Margaret und Carolina sind wirklich rücksichtsvoll. Wir arbeiten gemeinsam, machen das Frühstück, und als ich nach draußen gehen will, um im Garten zu arbeiten, sagt Margaret: »Ich übernehme heute deinen Teil.« Ich würde sie am liebsten küssen, aber meine Lippen bluten immer noch.
    Es klopft an der Tür und Mutter Claire tritt ein. Sie zuckt zusammen, als sie mein Gesicht sieht, dann schaut sie weg.

    »Ich bin gekommen, um das Kleid abzustecken«, sagt sie.
    Ich nehme die Stoffteile, die sie ausgeschnitten hat. Wann hat sie das gemacht? Während sie darauf wartete, dass ich vom Propheten zurückkomme? Während sie auf Vater wartete?
    Ich stelle sie mir vor, wie sie auf dem Fußboden kniet und den Stoff für mein Hochzeitskleid mit der Schere zurechtschneidet, die schon ihrer Mutter gehörte.
    »Lass uns anfangen, Kyra«, sagt Mutter Claire.
    Ich gehe zu ihr, und sie hebt ein Stück Stoff nach dem anderen auf, hält es an meine Schultern, unter meine Arme, an meinen Rücken.
    »Stell dich auf den Stuhl«, bittet sie.
    Ich stelle mich auf den Stuhl und sie steckt den Rocksaum ab.
    Meine Stimme ist viel zu laut, als ich sage: »Ich liebe ihn nicht.«
    Mutter Claire schweigt.
    »Weder als meinen Onkel noch als meinen Ehemann.«
    »Du wirst es lernen«, sagt Mutter Claire.
    Ich blicke zu ihr hinunter. Von hier aus sehe ich, dass sie schon ein paar graue Haare hat. Wie ist das möglich?
    »Du wirst lernen, ihn zu lieben.« Sie sagt es mit Stecknadeln zwischen den Lippen. »Du musst nur dein Herz in Gottes Hände legen.«
    »Mein Herz soll dort bleiben, wo es ist.« Ich klopfe an meine Brust.

    »Du wirst es lernen«, wiederholt sie.
    »Wir tun, was wir tun müssen«, sagt sie.
    »Ich habe auch getan, was ich tun musste«, sagt sie.
    Mutter Claire macht sich Sorgen um mich, das sehe ich ihr an. Mit dem Handrücken streicht sie mir zärtlich übers Gesicht, dort wo es nicht wehtut. Ich schließe die Augen, als sie mich berührt.
     
     
    In dieser Nacht setzen bei Mutter die Wehen ein. Ich weiß, auch ohne dass man es mir sagt, dass ich der Grund dafür bin und das, was mir zugestoßen ist. Ich kann nicht einmal zu ihr ans Bett gehen. Jedes Mal wenn sie mich sieht, weint sie. Mutter Claire streichelt mich und schickt mich nach draußen. Sie und Mutter Victoria bleiben abwechselnd bei meiner Mutter, während diese laut schreit.
    »Irgendetwas stimmt

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