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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nicht!«
    Ich höre, wie Mutter das sagt, es ist früher Sonntagmorgen. Mutter Victoria ist bei ihr. Sie murmelt etwas vor sich hin.
    »Irgendetwas stimmt nicht mit dem Baby.«
    Ich renne zu Mutters Schlafzimmertür und schaue zu ihr hinein. Ihre Haare sind nass, sie kleben im Gesicht. Der Anblick jagt mir Angst ein. Was sie gesagt hat, jagt mir Angst ein.
    »Was ist los?«, fragt Laura. Sie hat sich an mir vorbeigezwängt.
    »Geht raus«, sagt Mutter Victoria. Sie macht sich zwischen Mutters Beinen zu schaffen. Die Decke, die Bezüge,
alles ist zerknüllt. Mutters Knie sehen aus wie die eines jungen Mädchens. »Holt Vater.«
    Laura dreht sich um und rennt.
    Mutter sieht mich mit verzerrtem Gesicht an. Sie schreit.
    »Es ist da«, sagt Mutter Victoria.
    Ich laufe zu meinem Baum.
     
     
    Ich habe sie gesehen.
    Sie war ausgewachsen. Sie hatte Hände und Finger, Füße und Zehen. Ganz rot. Und dünn, viel zu dünn. Sie atmete mühsam.
    Ja, es schnappte nach Luft, dieses Baby, es kämpfte um ein paar Augenblicke Leben.
    »Bitte, Victoria. Bitte, Claire«, flehte Mutter. »Ich habe schon zu viele verloren. Bitte.«
    »Sie wird es nicht schaffen, Sarah«, sagte Mutter Claire.
    »Sie soll Abigail heißen«, sagte Mutter.
    Ich stand neben der Kommode und weinte. Laura und Margaret hatten sich neben mich gedrängt. Carolina war bei Emily.
    Dann kam Vater herein. Er ging an uns vorbei, als wären wir gar nicht da.
    »Abigail«, sagte Mutter.
    »Nicht jetzt, Richard«, sagte Mutter Claire. Sie machte sich mit dem Baby zu schaffen. Tat, was sie konnte.
    Aber Vater achtete nicht auf sie, er fiel neben dem Bett auf die Knie, dessen Tücher verknittert und nass waren und auf dem noch die Handtücher mit den Blutflecken
lagen. Der Raum roch nach Geburt. Meine Mutter konnte selbst kaum atmen, so mitgenommen war sie.
    Ich sah Abigail an. Ein Baby im sechsten Monat könnte überleben. Das wusste ich. Ich hatte es in einer von Patricks Zeitungen gelesen. Es gab Krankenhäuser, in denen man zu früh Geborene retten konnte.
    Als Abigail ihren letzten Atemzug tat - sie hatte nie einen Laut von sich gegeben, sie hatte sich nur gewunden und nach Luft gerungen -, als Mutter mit gebrochenem Herzen aufschrie, da rannte ich hinaus.
    Jetzt war ich auch noch eine Mörderin.
     
     
    In meinem Traum prasselt Schnee mit leisem, stetem Klopfen gegen das Fenster. Der Wind flüstert meinen Namen, Kyra.
    Ich wache auf, mein Herz macht einen Satz, will aus mir herausspringen.
    »Kyra.« Wieder klopft es. »Wach auf.«
    Joshua ist an meinem Fenster.
    »Was machst du hier draußen?«, flüstere ich. Ich krieche auf den Knien ans Fenster und presse mein Gesicht gegen das Fliegengitter.
    »Ich gehe weg, Kyra«, sagt er. »Ich muss fliehen. Heute Nacht sind sie zu uns nach Hause gekommen.«
    Joshua ist so aufgeregt, dass seine Stimme zittert. Obwohl es sehr dunkel ist, kann ich seine Blessuren sehen.
    Der selbstsüchtige Teil in mir lehnt sich auf: Was soll ich tun, wenn er nicht mehr da ist?
    »Du darfst nicht gehen«, sage ich.

    »Sie lassen mir keine andere Wahl.«
    »Wer?« Ich bin so dicht am Fenster, dass ich den Staub riechen kann. Es ist mir egal, ob Laura aufwacht.
    »Der Prophet. Die Apostel. Die Kader Gottes. Sie schicken auch noch andere weg. Mich jagen sie fort, weil ich darum gebeten habe, dich heiraten zu dürfen.«
    Mir ist, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Er presst seine Stirn gegen das Gitter. Zwischen uns beiden ist jetzt nur noch ein Drahtgeflecht. Ich spüre seine Haut. Ich kann ihn durch den Staub hindurch riechen. »Die Mädchen hier sind alle für die alten Männer bestimmt. Das haben sie mir gestern gesagt.« Er holt tief Luft.
    »Wohin wirst du gehen?«
    Er schweigt einen Augenblick. »Wir haben gehört, dass es einen sicheren Unterschlupf gibt. Wir werden versuchen, dorthin zu gehen.«
    »Nimm mich mit.«
    »Ich wollte dir nur Auf Wiedersehen sagen«, flüstert Joshua, ehe ihm die Stimme versagt.
    Ich fange an zu weinen. »Nimm mich mit«, flehe ich ihn an.
    »Ich komme zu dir zurück«, verspricht Joshua. »Wenn du das willst, Kyra.«
    Hinter ihm ist ein Geräusch zu hören. Zuerst denke ich, dass einer von den Kadern Gottes hier ist, und mir wird ganz schlecht.
    Aber es sind zwei andere Jungen, die zusammen mit Joshua gekommen sind.

    »Wir müssen gehen«, sagt einer von ihnen. Ich glaube, es ist Randall Allred. »Ich hab dir doch gesagt, wir hätten hier nicht anhalten sollen. Wir müssen gehen,

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