Ausersehen
bereitstehenden Appetithäppchen und vertilgte ein paar davon.
Als ich gerade ein knuspriges Bein eines kleinen, dicken Vogels in die Hand nahm, weckte ein Geräusch aus der Bibliothek meine Aufmerksamkeit.
„Hallo“, rief ich und fragte mich, ob vielleicht eine Nymphe dort gerade Staub wischte oder so. Niemand antwortete. Ich zuckte mit den Schultern und entschied, dass es ein Tick meines überanstrengten Gehirns gewesen sein musste.
Der Vogel zerging nur so auf meiner Zunge, doch gerade, als ich mich dem Genuss vollends hingeben wollte, hörte ich das Geräusch erneut. Dieses Mal war es lauter – ein Schlag, als wäre etwas Schweres und Hohles fallen gelassen worden.
Großartig. Irgendein schüchternes Mädchen hatte sehr wahrscheinlich etwas zerbrochen, und nun hatte sie zu viel Angst, herauszukommen und sich Rhiannon, der Zicke, zu stellen. Ja, das musste es sein – es regte sich aber noch irgendetwas anderes in meinem Hinterkopf. Ein ungemütliches Gefühl, das schwer zu beschreiben war.
Ich seufzte und wischte mir den Mund an der gold bestickten Leinenserviette ab. Mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf den reich gedeckten Tisch ging ich widerwillig zur Bibliothek hinüber.
Ich wusste, dass es lächerlich war, aber je näher ich dem Durchgang kam, desto unwohler fühlte ich mich. Ich hielt inne und hatte plötzlich Angst, dass es einem Fomorianer irgendwie gelungen sein könnte, in den Tempel einzudringen.
Nein, das Gefühl war keines, das auf Böses hindeutete. Es war einfach nur ein Unwohlsein. Ein bekanntes Unwohlsein noch dazu. Als ich den Raum betrat, bemerkte ich, dass mein Magen schmerzte und ich meine Zähne fest zusammengebissen hatte.
Die Bibliothek war von vielen Kerzen erleuchtet, die alle das mir inzwischen vertraute Totenkopfmuster hatten. Alles sah so aus wie bei meinem letzten Besuch, nur dass die Landkarte wieder aufgerollt worden war. Bücher standen in den Regalen und verliehen dem Raum eine Gemütlichkeit, die das genaue Gegenteil des Gefühls war, das in meinem Bauch tobte. Ich dachte schon, dass ich vielleicht übermüdet war und dass mir die Früchte nicht bekommen waren, als etwas auf dem in der Mitte stehenden Tisch meine Aufmerksamkeit weckte.
Ich stieß zischend die Luft aus, als hätte mir jemand in den Magen geboxt.
Sie stand mitten auf dem Tisch. Die gleiche Amphore, die ich auf der Auktion gekauft hatte. Die gleiche Amphore, die meinen Autounfall und den Wechsel in diese Welt verursacht hatte. Von Schwindelgefühl erfasst, versuchte ich, tief durchzuatmen. Der Raum verschwamm vor meinen Augen. Es war, als stünde ich in einem großen Goldfischglas und würde hinausschauen. Ich versuchte, einen Schritt zurück zu machen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Ich fühlte mich, als würde ich in einen riesigen Strudel gezogen; ich konnte nicht atmen; ich ertrank. Dann fing die Urne an zu glühen, und ich wusste, dass sie hergeschickt worden war, um mich in meine alte Welt zurückzubringen.
Mein Gefühl für die Realität löste sich langsam auf. Als die Amphore immer heller leuchtete, meinte ich, ein Bild von mir zu sehen, wie ich nackt in einem mir unbekannten Raum stehe. Butzenscheiben hinter meinem Spiegelbild reflektierten die Lichter einer modernen Skyline. Meine Arme waren ausgebreitet, und ich ging vorwärts.
Plötzlich wurde ich zurückgezerrt, und ClanFintan stürzte an mir vorbei. Er schlug die Amphore vom Tisch, sodass sie auf dem Fußboden in tausend Stücke zerbarst. Dann stieg er mehrmals auf die Hinterbeine und ließ seine Vorderbeine mit aller Kraft auf die Scherben niedersausen, bis nichts mehr übrig war als Staub unter seinen Hufen. Langsam verlosch das Glühen.
Mir fiel auf, dass ich immer noch die Luft anhielt. Meine Beine gaben unter mir nach, und mir wurde schwarz vor Augen.
„Rhea … Rhea …“, hörte ich jemanden wie aus weiter Ferne rufen. „Rhea … wach auf“, rief die Stimme wieder und wieder. Ich konnte nicht antworten – ich fand keinen Weg aus der Dunkelheit.
„Shannon Parker! Öffne die Augen und komm zurück!“
Meine Augen sprangen auf. Ich lag in ClanFintans Armen auf unserer Matratze. Sein Gesicht war blass vor Sorge.
„Was ist passiert?“ Die Erinnerung kam wieder, und ich rappelte mich auf. „Die Urne! Sie hat versucht, mich zurückzuholen!“ Ich hatte einen Schwindelanfall.
„Lieg still. Ich habe sie zerstört.“ ClanFintan drückte mir einen Kuss auf meine schweißfeuchte Stirn. „Ich habe nach
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