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Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Titel: Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Byron
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Kräfte zeigen. Das erfolgt ungefähr mit Mitte zwanzig oder Anfang dreißig und ist zugleich auch das erste Mal, dass wir uns transformieren. Dass sich unser Innerstes nach außen kehrt und wir uns in das verwandeln, was du gesehen hast. Unsere Haut wird schwarz, uns wachsen Flügel, und unsere Augen verfärben sich rot. Du kennst sicher zahlreiche Bilder von Dämonen, die stets mit Flügeln, Hörnern und Hufen dargestellt werden.“
    Wieder nickte ich stumm und nahm noch einen weiteren Schluck Wasser. Ich hatte plötzlich einen ganz trockenen Hals.
    „All diese Bilder sind unserer Spezies nachempfunden. Die Menschen nannten uns in Ermangelung einer anderen Bezeichnung Dämonen, obwohl das nicht stimmt. Dämonen sind eine ganz andere Wesensart, aber das würde hier zu weit führen. Im Endeffekt könnte man demnach also sagen, dass wir nicht nur der Tod sind, sondern auch der Teufel. Den gibt es in Wirklichkeit nämlich gar nicht. Er ist eine reine Erfindung der Menschen oder, genauer gesagt, der Kirche, die durch Angst die Menschen beeinflussen und zu ihrem Glauben bekehren wollte. Hölle, Aline, ist eine ebenso menschliche Erfindung wie der Himmel. Es gibt weder das eine noch das andere.“
    „Bedeutet das dann im Umkehrschluss, dass es auch keinen Gott gibt?“, fragte ich überrascht. Da ich bisher nie sonderlich religiös gewesen war, machte ich mir allerdings nicht besonders viel aus dieser Erkenntnis, sofern sie denn zutreffen sollte.
    Daron strich mir liebevoll über den Kopf und lächelte.
    „Nein, es gibt keinen Gott. Es gab nie einen. Es gibt nur die Kraft der Natur, so wie sie heute etwa im Wiccaglauben verehrt wird. Wobei auch hier oft eine Anbetung in Form eines männlichen und eines weiblichen Gottes erfolgt, stellvertretend für das natürliche Zweifachprinzip. Aber das ist eher nebensächlich. Am nächsten kommt unserer Existenz, wenn überhaupt, der frühe keltische Glaube, in dem weder Himmel noch Hölle existierten und laut dem die Menschen durch den Tod in eine Art Anderswelt gelangten. Diese Welt durfte jede Seele betreten, ob gut oder schlecht, denn sie diente als Vorbereitung auf die Wiedergeburt. Das ist zwar wiederum ein wenig zu einfach dargestellt – in Wahrheit ist das Ganze doch etwas komplexer –, aber ich denke, es gibt dir eine gute Vorstellung von dem, wie die Welt wirklich funktioniert. Und eine Vorstellung davon, wer wir sind.“
    Mein Unterkiefer hatte sich schon längst wieder gen Tischplatte verabschiedet, und in meinem Kopf begann sich alles zu drehen, doch ich versuchte, meiner Gedankenflut Herr zu werden. Also stellte ich die Frage, die mich aktuell am meisten beschäftigte.
    „Warum wollte Mael mich vergewaltigen? Er war zuvor schon in meinem Traum zudringlich geworden, und ich war mir nicht sicher, ob das real war oder ob ich anfing zu spinnen. Ich meine, ich kenne ihn doch gar nicht und habe ihm nichts getan.“
    Darons Gesichtszüge verfinsterten sich. Er blickte Alan an, der nur mit den Schultern zuckte und meinte, wenn ich schon dabei war, die Wahrheit zu erfahren, dann solle Daron mir auch gleich das gesamte Paket aufschnüren.
    „Sie steckt es bisher doch ganz gut weg“, sagte Alan und zwinkerte mir dabei zu.
    Der Tod der Faulheit zwinkerte mir zu!
    Ich fand das irgendwie fast schon wieder witzig.
    Irgendwie.
    Mit einem Seufzen wandte sich Daron wieder mir zu, nahm meine Hände und küsste meine Handflächen. Wie ich das liebte – mir ging das stets durch Mark und Bein.
    „Erinnerst du dich, was Mael im Bad gesagt hat? Das mit der Linienweiterführung?“
    Ich musste kurz überlegen und sah geistig erneut die Szene vor mir, in der Daron in seiner schwarzen Gestalt breitbeinig und vor Wut bebend über seinem aus Mund und Nase blutenden Bruder stand. Schnell versuchte ich, diese Erinnerung zur Seite zu schieben, und nickte.
    „Das war das zweite Mal, dass ich von den Ewigen hörte. Das erste Mal hatte Mael sie mir gegenüber im Traum erwähnt.“
    „Wie wir bereits festgestellt haben, begannen deine Visionen um den Zeitpunkt deiner ersten Periode herum, also deiner Geschlechtsreife. Das war kein Zufall, Aline. Bewahrerinnen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit Eintritt in die Pubertät die Fähigkeit erlangen, Kontakt mit uns beziehungsweise der – nennen wir sie gemäß der Kelten-Tradition – Anderswelt aufzunehmen. Das, was du Visionen nennst, sind in Wirklichkeit kurze Einblicke in den Bereich, den die Seelen betreten, nachdem wir sie geholt haben.

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