Ausflug ins Gruene
sie sich noch überlegen, ob sie mich hereinließe.
»Guten Tag.« Ich erkannte ihre markante Stimme sofort wieder. Die Stimme gehörte zu einer Person, die man nur als makellos bezeichnen konnte. Regine Langensiep, die ich auf etwa vierzig schätzte, hatte eine olivbraune Haut, dunkle Augen und ein irgendwie römisch geformtes Gesicht. Dunkelbraune, glatte Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie war schlank und groß und hätte ohne Probleme als Model arbeiten können.
»Guten Tag«, stammelte ich – wieder mal so, als fragte mich die Lehrerin am ersten Schultag, wie ich kleiner Wutz mich denn in ein Klassenzimmer verirrt hätte. Ich schluckte gerade ein Räuspern herunter, als Frau Langensiep mich hereinbat.
»Ich will Sie wirklich nicht lange stören«, versuchte ich meine Gegenwart irgendwie einzuschränken.
»Kein Problem«, Frau Langensiep winkte ab, »möchten Sie einen Kaffee?« Ich bejahte und folgte ihr in die Küche. »Ich bin gerade am Aufräumen«, erklärte sie beim Gehen, »fallen Sie ja nicht über die Kartons.« Sie deutete mit ihrem nackten, sonnengebräunten Fuß auf ein paar Kisten, die in einer Ecke standen.
»Ziehen Sie um?«
»Nein, das nicht, aber–« sie stockte »–ich möchte ein paar zu deutliche Erinnerungen an meinen Mann auslagern. Es ist einfach nicht so toll, wenn seine Jacken noch im Schrank hängen, als wolle er sie morgen anziehen.«
»Das kann ich gut verstehen«. Die Situation war angespannt. »Ich habe vom Unfall Ihres Mannes gehört. Es tut mir sehr leid.« Wir waren inzwischen in der Küche angekommen, und Frau Langensiep goß Kaffee in zwei große blaue Tassen. Sie reichte mir eine. »Nehmen Sie Milch oder Zucker?« Ich goß mir etwas Milch ein.
Dann folgte ich ihr von der Küche aus ins Eßzimmer, das einen Blick auf einen wunderschönen, urigen Garten erlaubte. Dahinter schloß sich sofort der Wald an. Ich blieb an der zweiflügligen Terrassentür stehen und staunte. Frau Langensiep stand neben mir und nippte an ihrer Tasse. Sie schien den Blick ebenfalls zu genießen.
»Kommen Sie von hier?« wollte sie wissen.
Ich erzählte ihr, wie es mich an die Schule verschlagen hatte.
»Oh je, da werden Sie sich erstmal einleben müssen«, entgegnete Regine Langensiep.
»Ist das so schwer?«
»Nun, ganz leicht ist das sicher nicht immer. Obwohl ich da gar nicht mitreden kann. Ich bin hier aufgewachsen und habe die Stadt nie großartig verlassen, außer zum Studium natürlich. Aber da habe ich es auch nur bis Münster geschafft.« Regine Langensiep lachte verlegen.
»Dann sind Sie also ein echtes Sauerländer Kind!« sagte ich und fand die Bemerkung im selben Augenblick dämlich.
»Na ja, geboren bin ich woanders, aber das ist eine andere Geschichte.« Regine schien nicht länger darüber sprechen zu wollen.
»Mein Mann, der hat wirklich schon immer hier gewohnt. Er stammt aus einer alten Handwerkerfamilie hier am Ort. Wir haben gemeinsam in Münster studiert, danach bekam Bruno dann eine Stelle am Elisabeth-Gymnasium. Es war auch damals nicht leicht, eine Stelle als Lehrer zu bekommen. Ich bewarb mich auf gut Glück bei den umliegenden Krankenhäusern und wurde tatsächlich in Arnsberg genommen – das ist ja nicht weit von hier. Später bin ich dann hierhin gewechselt. Es klappte sozusagen alles optimal. Bis das große Glück dann plötzlich endete.« Bei diesen Worten schaute Regine Langensiep mich direkt an, und ich bekam ein verspanntes, müdes Gesicht zu sehen.
»Ich halte Sie wohl viel zu lange auf.« Mein Gegenüber stellte hastig die Kaffeetasse auf den Tisch. »Ich zeige Ihnen jetzt mal das Arbeitszimmer meines Mannes.«
Ich trank hastig meinen letzten Schluck Kaffee aus und folgte ihr in den Flur. Das Arbeitszimmer lag im hinteren Teil des Hauses, aber auf derselben Etage. Als ich eintrat, war ich hingerissen von seiner Größe. Ein riesiger Eichenschreibtisch stand vor dem großen Fenster und lud mehr zum Hinausschauen als zum Arbeiten ein. Die Regale an den Wänden waren allerdings ziemlich unaufgeräumt, sogar auf dem Boden standen verschiedene Stapel mit Büchern und Mappen herum.
»Die Polizeibeamten haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt«, erklärte Regine Langensiep, »der Unfallhergang war anfangs nicht ganz klar. Man hat vor allem nach einem Abschiedsbrief gesucht, weil man zunächst annahm, daß Bruno Selbstmord begangen hat. Na ja, die Durchsuchung der Polizei erklärt nicht allein, warum hier alles herumliegt. Bruno war ziemlich
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