Ausflug ins Gruene
Brussner, »ich sprech Sie nochmal drauf an.« Er winkte mir zu und ging dann zu seinem Auto.
Im Sekretariat saß Schwester Gertrudis und hatte ihren Kopf in einen Arm gestützt. Sie sah deutlich mißgelaunt aus. Als ich hereinkam, lächelte sie einmal kurz.
»Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?« fragte ich aufmunternd.
»Sie können Fragen stellen. Haben Sie es denn noch nicht gehört?«
Ich überlegte einen Augenblick, ob vielleicht der Papst das Zeitliche gesegnet hatte. »Hat es was mit Kirche zu tun?« fragte ich, als würde ich an einem Fernsehquiz teilnehmen.
Schwester Gertrudis stöhnte. »Unsinn! Dortmund hat gestern abend gegen Arsenal London verloren. Stellen Sie sich das vor!«
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. »Schwester Gertrudis, sind Sie etwa ein echter Dortmund-Fan?«
»Ja, was meinen Sie denn? Meinen Sie, ich halte zu Schalke?«
Ich hielt wohl besser den Mund. Meine Vorstellungen über Nonnen mußte ich jedenfalls grundlegend revidieren. Ich fragte nach der Adresse der Langensieps. Während Schwester Gertrudis mir auseinanderlegte, warum die Mannschaftsaufstellung am Vorabend nicht zum Erfolg hatte führen können, schob sie mir einen Zettel mit Anschrift und Telefonnummer meines Vorgängers über den Tisch. Plötzlich fiel mir ein, daß ich den Telefonanruf gut von der Schule aus führen konnte. Schwester Gertrudis hielt mir den Hörer hin, und ich wählte Frau Langensieps Nummer. Es schellte sicherlich zehnmal, bevor jemand abnahm.
»Ja?« meldete sich eine verschlafene Stimme. Ich war verunsichert.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung! Hier ist Vincent Jakobs. Ich übernehme am Elisabeth-Gymnasium die Klassen Ihres verstorbenen Mannes und wollte Sie daher bitten – Entschuldigung, aber habe ich Sie gestört?«
»Ich habe geschlafen«, sagte Frau Langensiep leise, »ich komme gerade erst aus dem Krankenhaus. Ich hatte Nachtdienst.«
»Das tut mir furchtbar leid! Am besten melde ich mich ein andermal wieder.«
»Jetzt bin ich wach. Was kann ich für Sie tun?« Frau Langensieps Stimme gewann an Festigkeit.
»Nun, ich muß mich in den Stoff der Klassen einarbeiten, die Ihr Mann unterrichtet hat. Es wäre mir eine große Hilfe, wenn ich Einblick in die Unterlagen Ihres Mannes nehmen könnte, um zu sehen, was er an Themen gemacht hat. Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Ich habe die Schulsachen selbst noch nicht angeschaut«, sagte Frau Langensiep ruhig, »aber wenn Sie selbst zurechtkommen, können Sie sich heraussuchen, was Sie brauchen.«
Wir verabredeten einen Termin am Nachmittag, und ich legte auf. Ich bin nicht gerade jemand, der sich auf die Interpretation von Stimmen versteht, aber irgendetwas in der Stimme von Frau Dr. Regine Langensiep machte mich ungeheuer gespannt auf sie.
11
Die Fahrt zum Hause der Langensieps war eine Odyssee, und das einzig und allein, weil ich versucht hatte, mich nach Schwester Gertrudis’ Anweisungen zu richten. Sie hatte mir eine Skizze gemalt, die an den Lageplan einer Schatzsuche erinnerte. Hier und da waren Bäume eingezeichnet, die besonders auffällig sein sollten, auch ein Seniorenwohnheim sowie der Name eines Obsthändlers fehlten nicht. Straßen, Kreuzungen und Ampeln waren dagegen nur andeutungsweise hingemalt worden. Fluchend graste ich ein Wohngebiet nach dem anderen ab, bei jeder Bodenwelle, die zur Verkehrsberuhigung angelegt war, ein Prosit auf Schwester Gertrudis ausstoßend. Ich hätte daran denken sollen, daß die WDR4-Nonne die Welt nur aus Fußgängerperspektive kannte. Während ich eine scheintote Straße entlangfuhr, fragte ich mich sogar, ob Schwester Gertrudis bis zu diesem Teil der Außenwelt überhaupt jemals vorgedrungen war. Wahrscheinlich kannte sie die Gegend hier nur vom Hörensagen, und der Besitzer des eingezeichneten Obstladens war ein Vereinskamerad aus dem Dortmund-Fan-Club. Da endlich war die gesuchte Straße. Ich atmete erleichtert auf und pfefferte Gertrudis’ Gekritzel in den hinteren Wagenteil, wo es das Schicksal des langsamen Verfalls nehmen würde. Ich hielt vor der Hausnummer 10 und stand vor einem modernen, großen Haus mit einem verwilderten Vorgarten. Eins war auf den ersten Blick klar. Das Ehepaar Langensiep war durchaus wohlhabend. Nicht ohne Neid marschierte ich an einem schwarzen Golf Cabrio vorbei, das in der Einfahrt parkte, und schellte. Erst nach dem zweiten Klingeln wurde mir geöffnet. Die Frau vor mir hielt den Türgriff in der Hand, als wolle
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