Ausflug ins Gruene
herauskriegen könnte.«
Wir verabredeten uns, später nochmal miteinander zu telefonieren. Gerade als ich aufgelegt hatte, klingelte das Telephon wieder. Es war Max. »Also, tut mir echt leid!« Das war seine Art, sich zu entschuldigen.
»Schon gut. Wie seid ihr denn nach Hause gekommen?«
»Ich hab’ den zwei Frauen und mir ein Taxi besorgt. Ich weiß, wie man da günstig drankommt. Haha.«
»In welchem Zustand wart ihr denn beim Abflug?«
»Also, Alexa ist mir unterwegs dreimal eingeschlafen, und Friederike hat noch mehr geredet als sonst. Ich selbst war natürlich völlig normal.«
»Natürlich.« Max versprach, sich in den nächsten Tagen zu melden.
Nachdem er aufgelegt hatte, fand ich endlich Zeit, mir Regine Langensieps Manuskript anzusehen. Auf Leben und Tod stand vorne auf dem Deckblatt. Leider war keinerlei Hinweis zu finden, um was für eine Art von Manuskript es sich handelte und von wem es stammte. Ich begann zu lesen.
Das Leben, das in meinen Fingern zerrinnt wie Sand, der nicht aufzuhalten ist, ist eines unter hundert Leben, eines unter tausend, unter Millionen Leben, die ebenso unwichtig erscheinen wie dieses mein Leben. Das einzige, was mein Leben zu etwas Besonderem macht, ist, daß es mein Leben ist, meine Existenz, mein Inhalt. Es ist das, von dem alle meine Gedanken ausgehen. Und wenn sie noch so weit zu fliegen vermögen, so sind sie doch gefangen in der Welt des Denkenden, des Ich.
Ziemlich schwülstig bislang. Jetzt wurde es konkreter. Ich will es erzählen, das Leben des Konstantin Worms, dessen Freiheit in Kinderjahren nicht größer war als in Erwachsenenjahren, der gefangen war in seinen eigenen Stricken.
Die Passagen, die nun folgten, beschrieben die Erlebnisse eines Jungen, der in einer Kleinstadt aufwuchs und sich gegen die autoritären Eltern durchsetzte, die ihn zu einem Bürokaufmann machen wollten. Ihnen zum Trotz ging Konstantin zum Gymnasium in der Stadt, denn sein Wunsch war es, ein Schriftsteller zu werden, einer, der von seinen Reisen und Abenteuern berichtete, den die Leute liebten, weil sie ihn gerne lasen. Um das zu schaffen, glaubte Konstantin zunächst, selbst Literatur studieren zu müssen. Er büffelte und ackerte. Er las alles, was er auftreiben konnte, und wurde zu einem Musterschüler.
Ohne es zu wollen, rezensierte ich das Geschriebene wie ein Kritiker. »Ein umständliches Buch« ließe sich sagen, »verliebt in die eigenen Worte, zu tragend, zu schwer der Ton des Buches.« Ob ein Schüler Langensiep das Manuskript gegeben hatte, um es von ihm begutachten zu lassen? Unwahrscheinlich. Langensiep war bei den Schülern ja nicht sehr beliebt gewesen. Folglich war er für die meisten auch keine Vertrauensperson, der man etwas so Persönliches anvertraute. Außerdem sollte der Roman, wenn es denn einer war, über ein Erwachsenenleben berichten. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein jugendlicher Schüler sich an so etwas heranwagte. Ich blätterte die Seiten durch. Das Manuskript war ordentlich gedruckt, jede Seite war einzeilig beschrieben. Kurz vor Schluß bemerkte ich etwas Handgeschriebenes. Ich suchte die Seite, die beim Durchblättern vorbeigerauscht war. Als ich sie gefunden hatte, erkannte ich die Handschrift sofort. An einer Stelle war das Wort Bruno durchgestrichen worden und handschriftlich durch Konstantin ersetzt worden. Ganz offensichtlich hatte der Autor beim Schreiben Realität und Fiktion verwechselt. Bruno Langensiep, der seine Geschichte in der Anonymität des Konstantin Worms niedergeschrieben hatte, mußte versehentlich einmal seinen wirklichen Namen verwandt haben. Konstantin Worms war Bruno Langensiep. Und der Autor dieses Manuskripts war Langensiep selbst.
Mich überkam eine gewisse Aufgeregtheit. Was ich hier in den Händen hielt, war das Werk eines Verstorbenen, seine Autobiographie. Wenn Regine von der Existenz dieses Romans nicht gewußt hatte, wußte wahrscheinlich auch kein anderer davon. Außer mir. Ich schluckte. Was, wenn ich den Schlüssel zu seinem Tod in meinen Händen hielt? Es gab nur eins: lesen, lesen, lesen!
24
»Was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen aus, als sei Ihnen gerade Ihre verstorbene Großmutter über den Weg gelaufen.«
»Danke für das Kompliment!« Alexa wußte selbst, daß sie so elend aussah wie nach einer Leichenautopsie. Schließlich fühlte sie sich auch so.
»Gab es gestern irgendwas zu feiern?« Karin ließ nicht locker.
»Eigentlich war ich nur zum Essen eingeladen. Aber dann kam
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