Ausflug ins Gruene
vor der Brust. »Ist das nicht der perfekte Symbolismus? Das langweiligste aller Leben in dem langweiligsten aller Bücher?«
»Was ich viel tragischer finde«, warf ich ein, »ist Langensieps fataler Irrtum, daß er sein Leben der Kunst widmen wollte, womit er höchstwahrscheinlich das Schreiben meinte. Langensiep schreibt so schlecht, entschuldigt, schrieb so schlecht, daß kein Verlag der Welt ihn drucken würde.«
»Sein vermeintlicher Neuanfang wäre also ein Schuß in den Ofen gewesen«, resümierte Leo nachdenklich.
»Vermutlich war er ein Schuß in den Ofen«, gab Robert zu bedenken. »Ich schätze, er ist bei allen Verlagen gründlich abgelehnt worden und hat sich deshalb das Leben genommen.«
Ich würgte diesen Gedanken ab. »Meine Vermutung ist, daß das Buch gar nicht an dieser Stelle endet, sondern weitergeht. Langensiep ist zwar ein lausiger Schreiberling, aber ich glaube, daß selbst er sich nicht einen solch banalen Schluß erlaubt hätte. Außerdem wäre ein Manuskript mit nur achtzig Seiten sehr ungewöhnlich, wenn man es wirklich drucken lassen wollte.«
»Du hast recht«, Leo runzelte die Stirn, »wenn das Manuskript nicht hier endet, gibt es aber immer noch zwei Möglichkeiten. Entweder befindet sich der Rest des Buches an einer anderen Stelle, oder Langensiep hatte nicht mehr die Gelegenheit weiterzuschreiben, weil ihm der Tod zu ungelegener Zeit in die Quere kam.« Wir saßen einen Moment still da und überlegten alle.
»Jetzt weiß ich- ich bin ein Hornochse.«
Robert schaute mich verwundert an. »Ich will das nicht bestreiten, aber sag trotzdem, was los ist!«
Ich raste in mein Arbeitszimmer und suchte nach den Notizen, die ich in Langensieps Unterlagen gefunden hatte. Robert und Leo waren mir gefolgt. »Seht her, das sind die seltsamen Sätze von Langensiep, die mich überhaupt erst darauf gebracht haben, daß mit Langensiep etwas faul war. Ich las die erste Notiz laut vor: » Auf Leben und Tod. Entscheidung bis Januar. Sonst Ende. ««
»Auf Leben und Tod? Der Titel des Manuskripts!«
»Richtig, Leo, ich muß Tomaten auf den Augen gehabt haben, daß mir das nicht eher aufgefallen ist.«
Leo nahm den Zettel mit der handschriftlichen Anmerkung in die Hand. »Was soll das bedeuten?« fragte er.
» Entscheidung bis Januar. Ich kann damit nichts anfangen.«
»Wir kommen so nicht weiter«, stellte ich fest. »Es bleibt dabei: Ich werde versuchen, irgendwie herauszukriegen, ob es eine Fortsetzung zu dem Manuskript gibt. Dann sehen wir weiter. Erzähl du jetzt, Leo, was du herausgefunden hast!«
Leos nachdenkliche Stirn legte sich wieder glatt, und man sah ihm an, daß ein Energieschub durch seinen drahtigen Körper fuhr. »Ich habe soviel zu berichten, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ach ja, zunächst habe ich mich um die beiden Motivträger Erkens und Sondermann gekümmert.«
Ich mußte grinsen. Wenn Alexa sähe, wie wir drei erwachsenen Männer um einen Tisch saßen und uns benahmen, als hätten wir einen Detektivspielkasten zu Weihnachten geschenkt bekommen, würde sie sich wahrscheinlich totlachen. Leo fuhr unbeirrt fort.
»Ich habe mit ein paar Leuten im Haus von Frau Erkens palavert, weil ich wissen wollte, ob sie für die Tatzeit ein Alibi hat.«
»Leo, der Mord oder Unfall oder was auch immer ist drei Monate her. Wie soll sich ein Nachbar daran erinnern, ob er damals Frau Erkens’ Schritte im Treppenhaus gehört hat?«
»Wart’s doch ab!«, Leo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, »Du wirst dich wundern, was dabei herausgekommen ist!«
»Vielleicht könntest du uns trotzdem erst erzählen, wie du die Sache angegangen bist?« sagte ich verdattert.
»Das würde ich auch, wenn du mich endlich aussprechen ließest.« Leo wurde langsam trotzig. »Ich habe bei den Nachbarn geklingelt und erzählt, wir würden an einem Jahresheft für die Schule arbeiten. Zu diesem Zweck wollten wir alteingesessene Lehrer und Lehrerinnen portraitieren.«
Ich stöhnte. Auf solch eine verrückte Idee konnte wirklich nur Leo kommen. Ich verkniff mir eine Bemerkung.
»Der Typ, der direkt unter den Erkens wohnt, hielt sich bedeckt. Aber bei der Dame im Erdgeschoß bekam ich konkrete Auskünfte«, fuhr Leo fort. »Ich habe ihr vorgeschlagen, sie solle doch mal einen typischen Sonntag im Leben der Frau Erkens beschreiben.«
»Ehrlich gesagt, wundert es mich, daß sie daraufhin nicht Alarm geschlagen hat. Ich hätte dich jedenfalls für verrückt gehalten, wenn du mir als
Weitere Kostenlose Bücher