Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausflug ins Gruene

Ausflug ins Gruene

Titel: Ausflug ins Gruene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Heinrichs
Vom Netzwerk:
anrufen würde, wenn ich weiter so einen Unsinn reden würde. Ich wollte es hören, ich mußte es hören. Ich wußte, daß ich nie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, solange sie nicht diesen Verdacht aus meinem Kopf gehämmert hatte. Ich war naß geschwitzt, als ich vor der Haustür stand. Ich wußte, daß mein Haar zerzaust war und daß mein Gesichtsausdruck etwas von einem gejagten Tier haben mußte. Regine öffnete sofort die Tür.
    »Regine, Sie müssen mir etwas sagen!« brachte ich heraus. Ihr ernster Gesichtsausdruck veränderte sich nur unmerklich.
    »Kommen Sie herein!« Ich ging hinter ihr her zu unserer Sitzecke im Eßzimmer. Unsere Ecke. Ich versuchte, mich ruhig zu halten, aber irgendetwas zitterte in mir, das ich nicht unter Kontrolle hatte.
    »Ich wußte, daß Sie kommen würden. Daß Sie irgendwann kommen würden. Ich habe es befürchtet.« Regine konnte das Beben in ihrer Stimme nur schwer unterdrücken. Ich setzte mich auf einen Stuhl. Ganz gerade. Ich hoffte, etwas Ruhe zu finden. Regine blieb stehen. Sie stand am Fenster und schaute hinaus.
    »Wissen Sie was?« Sie drehte sich langsam zu mir um. »Ich bereue es nicht mal. Um ganz ehrlich zu sein: Es ist mir egal.« In mir zogen sich alle Organe zu einem großen Klumpen zusammen. Ich hatte recht gehabt. Mein Gefühl hatte recht gehabt.
    »Nicht, daß es mir genützt hätte. Ich bin allein, so allein wie zuvor.« Ich kämpfte gegen einen Brechreiz an. Mein Magen schien sich nach oben ausstülpen zu wollen.
    »Wie, wie konnten Sie das nur tun?«
    »Sie glauben ja gar nicht, wie leicht es ist.« Regine lachte nicht, aber ihre Stimme barg einen Hohn. »Wenn man sein Leben lang gelitten hat, dann ist es leichter, als - als sich die Schuhe zuzumachen.« Mein Erstaunen schien das Aufbegehren meines Körpers in Zaum zu halten.
    »Sie haben ihn ja nicht gekannt. Keiner hat ihn gekannt! Keiner hat ihn so gekannt wie ich. Mein Leben endete, als ich noch ein Kind war. Nein, es endete nicht wirklich. Aber es war nicht mehr mein eigenes Leben. Es war das Leben, das Bruno plante und das ich nur noch auszuführen brauchte.« Sie blickte sich wieder um und sah nach draußen. Ihre Stimme klang seltsam hohl, als sie mit dem Rücken zu mir sprach. »Als ich neun Jahre alt war, starben meine Eltern bei einem Brand. Es passierte in einem heißen Sommer, als auf dem Heuboden ein Feuer ausbrach. Meine Eltern versuchten verzweifelt zu löschen, obwohl es längst aussichtslos war. Sie wurden von einem brennenden Balken erschlagen, nimmt man an. Der gesamte Hof brannte nieder und mit ihm meine ganze Kindheit.« Regine verschränkte die Arme vor ihrem Körper.
    »Die Langensieps nahmen mich auf, obwohl ich sie nur ein einziges Mal gesehen hatte, auf Mamas Geburtstag. Und mein Leben änderte sich völlig. Auf unserem Bauernhof hatte ich wie in einem Kindertraum gelebt, jetzt wohnte ich in einer fremden Stadt bei fremden Leuten, denen ich zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sein mußte. Ich war todunglücklich, obwohl mir jeder sagte, wie froh ich doch sein konnte, daß sich jemand um mich armes Mädchen kümmerte.« Regines Ton ließ die Verzweiflung und Verbitterung wieder aufkommen, die sie als Mädchen erfahren hatte. »Der alte Langensiep war ein schrecklicher Tyrann, und selbst seine Frau wagte kaum, ihm zu widersprechen. Bruno litt unter diesen Zuständen genauso wie ich, und ich glaube, das war es, was uns zunächst verband.«
    Regine holte tief Luft, verharrte aber in ihrer Haltung.
    »Ja, am Anfang waren wir so etwas wie eine Leidensgemeinschaft. Daraus wurde dann fast unmerklich mehr. Als Bruno zum Studium nach Münster ging, was er ohne seine Mutter nie durchgekriegt hätte, versprach er mir immer wieder, ich könne ihm bald nachfolgen, sobald ich ebenfalls mein Abitur gemacht hätte. Dann wären wir frei und selbstständig. Es mag seltsam klingen, aber nachdem Bruno mich zum ersten Mal geküßt hatte, war für ihn klar, daß wir heiraten würden. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß die Dinge sich anders entwickeln könnten. Er wollte sein Leben mit mir verbringen, also passierte das auch so. Wahrscheinlich hatte er das von seinem Vater gelernt.« Regines Stimme hatte nun etwas Unerbittliches. »Ich selbst hatte nicht das Selbstbewußtsein, mich gleichberechtigt in die Beziehung einzubringen. Mir war ja jahrelang das Gefühl vermittelt worden, ich müßte dankbar sein. Und nun hatte ich das Gefühl, ich müßte auch Bruno gegenüber dankbar sein. Er war

Weitere Kostenlose Bücher