Ausflug ins Gruene
den Langensiep aufgesucht hatte? Das würde auch die Anführungsstriche erklären. Vermutlich hatte Langensiep mit dem Ausdruck Befund gespielt. Schließlich war er ein angehender Schriftsteller. Ich suchte nach dem örtlichen Telefonbuch. Die Einträge mit E umfaßten natürlich mehrere Seiten. Es würde ewig dauern, alles durchzusehen. Mir kam eine bessere Idee.
Ich griff nach den Gelben Seiten. Da war das Stichwort: Rechtsanwälte und Notare. Die Suche dauerte nicht lange. Da stand es: Dr. Hans Eimershaus, Rechtsanwalt und Notar. Ich war mir sicher. Bruno Langensieps Notiz bezog sich nicht auf irgendeinen Augenarzt, sondern auf Dr. Hans Eimershaus. Ich legte das Buch weg, setzte mich auf einen Küchenstuhl und schloß die Augen. Was wußte ich jetzt? Oder besser: Was vermutete ich jetzt?
Regine Langensiep hatte ein Verhältnis mit einem Kollegen gehabt. Ihr Mann schien davon gewußt zu haben. Auf jeden Fall hatte er sich in Rechtsdingen schlau gemacht. Er hatte die ersten Vorbereitungen für eine Scheidung getroffen. Ich stutzte. Woher nahm ich eigentlich die Gewißheit, daß sich Langensiep wegen seiner Ehe an einen Juristen gewandt hatte? Vielleicht ging es auch um einen Streit mit dem Nachbarn oder um das Aushandeln eines Vertrags mit seinem zukünftigen Verlag? Immerhin war Langensiep ja überzeugt gewesen, auf welchen Wegen auch immer, an einen solchen zu gelangen. Ich kam nicht weiter. Immer wenn mir ein neuer Gedanken kam, ließ er sich durch nichts, aber auch gar nichts belegen.
All mein Denken basierte auf bloßen Vermutungen. Außerdem mußte ich noch einmal an meinen Ausgangspunkt denken. Heutzutage war eine Scheidung gesellschaftlich kein Untergang mehr. Ich seufzte. Das Grübeln hatte gar keinen Sinn. Ich würde auf Leo warten und morgen alles mit ihm besprechen. Vielleicht hatte er eine Idee, und wenn er keine hatte, dann würden wir diesen verdammten Fall endlich ad acta legen. Zum Glück versuchte jetzt mal der vernünftige Teil meines Gehirns zum Zuge zu kommen.
Es war jetzt Sonntag, fast zwölf Uhr mittags, am nächsten Tag warteten vier Klassen auf mich, und ich hatte immer noch nicht alles vorbereitet. Es war jetzt wirklich Zeit zum Handeln. Tatendurstig ging ich zum Duschen, zog mir anschließend frische Sachen an und setzte mich mit den besten Vorsätzen an meinen Schreibtisch. Ich kramte die Unterlagen zu meiner zehnten Klasse in Deutsch hervor. Obenauf lag der Arbeitsvertrag, den Schwester Wulfhilde mir am Vortag mitgegeben hatte. Ich warf einen Blick darauf und begann zu suchen, was dort zum Thema katholischer Arbeitgeber stand. Ich überflog den Absatz zur Probezeit und fand dann folgenden Punkt:
Herr Vincent Jakobs verpflichtet sich, seinen Dienst am Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium mit voller Hingabe zu versehen. Er ist gewillt und erklärt sich bereit, seine gesamte Unterrichts- und Erziehungsarbeit im Geiste des katholischen Bildungsideals gewissenhaft zu leisten.
Es ging weiter mit Vergütung, Krankheitsregelung, Nebentätigkeit. Dann wurden Gründe für eine fristlose Kündigung aufgeführt. Als dritten Punkt fand ich darunter: Verstöße gegen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre innerhalb und außerhalb des Dienstes.
Sehr schwammig formuliert. Ich mußte unbedingt mit Jochen sprechen, einem früheren Klassenkameraden, der inzwischen als Rechtsanwalt arbeitete. Der konnte mir sicher verraten, was sich hinter dieser mysteriösen Formulierung verbarg. Ich überflog den weiteren Text und wählte danach gleich die Nummer meines alten Schulkumpels. Er war direkt am Apparat, und ich kam schnell zur Sache. Ich schilderte ihm, was ich in meinem Arbeitsvertrag gefunden hatte. Jochen war nicht beeindruckt.
»Das ist eine ganz gängige Formulierung bei kirchlichen Trägern«, erklärte er. »Wie du ja schon gemerkt hast, muß man wissen, was zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre gehört, von denen da die Rede ist.«
»Ich bin mir da nicht sicher«, murmelte ich, »vielleicht daß man jeden Sonntag in die Messe geht?«
»Nein, das nicht«, erläuterte Jochen, »ob du sonntags in die Kirche gehst, kann im Grunde niemand nachweisen. Vielmehr darfst du nicht unverheiratet mit einem Partner zusammenleben.« Ich schluckte. »Außerdem darfst du nicht geschieden wiederverheiratet sein oder eine geschiedene Frau heiraten.«
»Nochmal, was darf ich nicht – wieder?«
»Als katholisch Getrauter bist du bis zu deinem Tod oder dem deiner
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